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Archiv-Artikel

Natur und Ostsee reichen nicht

LEHRERMANGEL Die ostdeutschen Bundesländer suchen händeringend junge Lehrer. Berlin bietet schlechtere Bedingungen, punktet aber mit dem besseren kulturellen Angebot

BERLIN taz | Mecklenburg-Vorpommern liebt es drastisch. „Willst du 18 Kinder von mir?“, lautet die Frage auf einer Postkartenwerbung. Sie richtet sich an junge Lehrer, das Land sucht händeringend neue Kräfte. 650 neue Stellen sollen in diesem Sommer ausgeschrieben werden. Dann laufe das 1995 beschlossene Lehrpersonalkonzept aus, sagt der Sprecher des Bildungsministeriums, Henning Lipski. Bisherige Lehrkräfte erhielten Ermäßigungsstunden, dafür brauche es nun Ersatz.

Auch andere Bundesländer suchen dringend Lehrer. Brandenburg will dieses Jahr 1.000, Berlin 2.000 neue Stellen besetzten. Auch Sachsen sucht gerade. Bis 2020 gehen dort mehr als 8.000 Lehrer in den Ruhestand. Brandenburg lockt mit Verbeamtung, Berlin und Sachsen verbeamten nicht.

Aber auch dick aufgetragene Werbung nutzt nicht immer. „Die Ostsee und die Natur“, sagt Marvin Meyer zu, „sind in Mecklenburg-Vorpommern schön.“ Trotzdem hat sich Meyer für Berlin entschieden, zumindest fürs Bio- und Chemiestudium. Er ist in Vorpommern geboren, kann sich jedoch nicht vorstellen, in seiner Geburtsregion später einmal zu unterrichten. Er will in eine Stadt, wo „man was machen kann“.

Mecklenburg-Vorpommern betont auf der Website lehrer-in-mv.de die Vorzüge: günstige Wohnungen, moderne Schulen und sehr gute Zukunftschancen. Durch den demografisch bedingten Schülerrückgang um 56 Prozent, so das Statistische Amt des Landes, habe sich in den vergangenen 20 Jahren auch die Zahl der Lehrkräfte halbiert. Momentan stagniere die Schülerzahl jedoch, sagt Sprecher Lipski. Daraus resultierten gute Jobchancen für junge Lehrer. Zudem sind die aktuellen Lehrkräfte im fortgeschrittenen Alter. An den allgemeinen Schulen war 2009 nur noch jeder zehnte Lehrer jünger als 40 Jahre.

Nach der Föderalismusreform 2006 sind die Einkommen der verbeamteten Lehrkräfte im bundesweiten Vergleich weiter auseinandergedriftet, sagt die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Marlis Tepe. Der Grund: Die Länder erhielten seinerzeit die Besoldungshoheit, können also seitdem eigenständig über Bezahlung und Gehaltszuwächse entscheiden. Die Arbeitsbedingungen in Mecklenburg-Vorpommern verschlechterten sich. Die meisten ostdeutschen Bundesländer, darunter auch Mecklenburg-Vorpommern, haben Lehrkräfte als Angestellte eingestellt, also nicht verbeamtet. Angestellte Lehrkräfte verdienen in der Regel netto weniger als vergleichbare Lehrkräfte mit Beamtenstatus. Die Länder müssten den Lehrkräften gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung bieten, dann bleiben diese gern in den Ländern, in denen sie ausgebildet worden sind, sagt Tepe. Viele Lehrkräfte beispielsweise an Grund- und Hauptschulen würden schlechter bezahlt als vergleichbare andere Akademiker im öffentlichen Dienst. Und die Klassen müssten kleiner werden, damit Lehrkräfte mehr Zeit für alle Schülerinnen und Schüler haben.

Mecklenburg-Vorpommern hat vieles davon erkannt. Die Kampagne wirbt mit den kleinen Klassen. Tatsächlich lag in der jüngsten Ergebung des Statistischen Bundesamts die durchschnittliche Klassengröße in Mecklenburg-Vorpommern bei 18 Schülern – zumindest im Primär- und Sekundarbereich I. Ab diesem Jahr stehen nun jährlich 50 Millionen Euro mehr für die Schulbildung zur Verfügung. Zudem soll es auch für die Lehrkräfte an Regional- und Gesamtschulen ein Gymnasialgehalt geben; Lehrer bis zu 40 Jahren sollen verbeamtet werden können. Von den bereits angestellten Lehrern erfüllen gerade mal rund 900 die Altersvoraussetzung.

SVENJA BEDNARCZYK