KOMMENTAR VON ULRICH SCHULTE ZUM MINDESTLOHN
: Ein abgesprochener Sieg für die SPD

Merkel und Gabriel wissen, dass jeder dem anderen seine Erfolge gönnen muss

Die SPD ist stolz auf die Einigung über den Mindestlohn, und sie hat Grund dazu. In wichtigen Punkten haben sich die Sozialdemokraten gegen die störrische Union durchgesetzt. So wird der Mindestlohn für alle Menschen ab 18 Jahren gelten, und nicht erst ab 25, wie es manche Konservative wollten. Das ist vernünftig, weil der Staat jungen Leuten signalisiert: Ihr seid für uns keine Ausnahme. In Zeiten grassierender Politikverachtung ist das ein wichtiges Argument. Mit einem Mindestlohn für (fast) alle drückt der Staat arbeitenden Bürgern seine Wertschätzung aus.

Für das Selbstbewusstsein der Sozialdemokratie ist dieser Erfolg enorm wichtig. Die SPD leidet bis heute an dem Trauma, mit der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt nach unten entgrenzt zu haben. Der Mindestlohn repariert diese historische Fehlleistung nicht komplett, aber er lindert die schlimmsten Auswüchse. Außerdem fürchten viele SPDler heimlich, dass sie an der Seite Merkels ähnlich desaströs untergehen könnten wie in der Großen Koalition bis 2009. Wie alle Ängste ist auch diese nicht rational, und der Mindestlohn liefert einen harten Beleg dafür, dass die SPD in der Konstellation mit Merkel punkten kann.

Wirklich überraschend ist dieser Erfolg allerdings nicht, denn er gehörte zum Deal. Der Mindestlohn war die Bedingung der SPD für diese Koalition, ohne ihn hätte sie nicht mitgemacht. Das wussten alle Beteiligten, Angela Merkel und Sigmar Gabriel vorneweg. Und sie wissen auch: Der Erfolg von Koalitionen beruht auf dem Prinzip, dass jeder dem anderen seine Siege gönnen muss. Genau das passiert gerade.

Und die Union? Teile von CDU und CSU haben sich bis zum Schluss mit Händen und Füßen gegen den Mindestlohn gesträubt. Was forderten Wirtschaftspolitiker nicht alles für Ausnahmen. Rentner sollten ihn nicht bekommen, Studenten nicht, Langzeitarbeitslose, diese faulen, integrationsunwilligen Figuren, sowieso nicht. Dieses zähe Rückzugsgefecht war nicht mehr von Rationalität geprägt, es hatte etwas Würdeloses und Kleinkariertes. Weil es Einzelnen sehr deutlich machte, was der Wirtschaftsflügel der Union von ihnen hält. Insofern kann Merkel sich fast freuen, wenn dieses Thema nun bald abgeräumt ist. Denn die Regelung stoppt all diejenigen in der Union, die beharrlich an der gesellschaftlichen Realität vorbeiargumentieren.

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