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Archiv-Artikel

Der Berlin-Vertreter

VON MATTHIAS LOHRE

In Berlin hat die SPD mit ihrem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit die Abgeordnetenhauswahl klar gewonnen. Die Sozialdemokraten verbessern sich auf 31,4 Prozent, die CDU mit Herausforderer Friedbert Pflüger verliert und kommt nur noch auf 22 Prozent. Die Linkspartei.PDS landet bei nur noch 13,5 Prozent, und auch die Grünen legen deutlich auf 13,5 Prozent zu. Auf die FDP entfallen 7,9 Prozent.

Klaus Wowereit hat also die Wahl. Der SPD-Spitzenkandidat kann die Koalition mit der geschwächten Linkspartei fortsetzen oder mit den erstarkten Grünen regieren. „Es ist gut, Optionen zu haben“, nennt Wowereit solch eine Situation. Für die Bewerber um die Regierungsbeteiligung heißt das: Ihnen stehen harte Verhandlungen bevor, in denen die SPD ihnen harte Bedingungen aufzwingen wird.

Mit dieser Mischung aus Lächeln und Härte, aus „Wowi“-Image und Machtinstinkt, hat Berlins Regierender Bürgermeister in den vergangenen fünf Jahren viel erreicht. Der einst verspottete „Regierende Partymeister“ hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung komplett gewandelt. Der beinharte Haushaltsexperte hat seit seinem Tabubruch – der Koalition mit der PDS in der einst geteilten Stadt – Berlin umgekrempelt.

Den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst zwang er im sogenannten Solidarpakt mehr Arbeit und weniger Urlaubsgeld auf. Tausende Stellen in den einst aufgeblähten Landes- und Bezirksverwaltungen hat er gestrichen. Investitionen in öffentliche Gebäude und Instandhaltungsgelder hat er gekürzt und den Sozialisten im Senat etliche Demütigungen aufgezwungen. Angefangen bei der Erhöhung der Kita-Gebühren über Einsparungen an den drei Unis bis hin zum massenweisen Verkauf landeseigener Wohnungen.

Das eigentlich Erstaunliche an alldem ist: Die Kürzungen haben Wowereits Popularität nicht geschadet, im Gegenteil. Hand in Hand mit seinem knorrigen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat er den Berlinern eine lang verdrängte Wahrheit vor Augen geführt: Berlin ist pleite, so geht es nicht weiter. Die Hauptstädter haben die Lektion zunächst zähneknirschend, später geradezu lustvoll akzeptiert. Im kommenden Jahr soll der Abwärtstrend gebremst sein, dann soll der Haushalt erstmals seit 1990 keine neuen Schulden aufweisen.

„Arm, aber sexy“ sei Berlin, befand Wowereit vor Jahren. Politische Gegner wie der glücklose CDU-Herausforderer Friedbert Pflüger haben ihm deshalb immer wieder Unseriösität vorgeworfen – vergeblich. Wowereit weiß sich eins mit den Hauptstädtern. Pompös fordert der Regierungschef eine „Mentalität des Gelingens“. Übersetzt heißt das: Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, bringt Jammern überhaupt nichts. Berlin ist ein Produkt, und Wowereit wirbt um Interessenten. Mit Erfolg.

Die Touristenzahlen wachsen stetig. Im Frühjahr hat das Bundesverwaltungsgericht endlich den Weg frei gemacht für den Großflughafen Berlin-Schönefeld, im November 2011 soll er fertig sein. Noch im Herbst entscheidet das Bundesverfassungsgericht über eine Klage, in der die abgebrannten Hauptstädter milliardenschwere Bundesunterstützung für das „Haushaltsnotlagenland“ Berlin einfordern.

Das Schrumpfen der dringend benötigten Industriearbeitsplätze hat auch Wowereit nicht aufhalten können. Doch kann seine Regierung Erfolge vorweisen: Die Medienriesen MTV und Universal haben sich an der Spree angesiedelt, Wissenschafts- und Technologieparks ziehen kreative Firmengründer an.

Gegen den neuen Optimismus in der Stadt hatte CDU-Herausforderer Pflüger nie eine Chance. Die Wechselstimmung fehlte. Die Unzufriedenheit könnte jedoch wachsen, sollte Wowereit nach der Wahl ernst machen mit seinem Anspruch, als einer von fünf SPD-Ministerpräsidenten künftig mehr im Bund mitzumischen. Die Marke „Wowi“ ist ohne die enge Verknüpfung mit Berlin undenkbar. Ohne sie wird aus dem charmanten Großmaul schnell der taktlose Trampel. So brachte er vor einem Jahr die halbe Bundes-SPD gegen sich auf, als er Schröders Niederlage bei der Bundestagswahl früher als alle Parteifreunde herausposaunte.

Doch Wowereit weiß um seinen Marktwert. Seit er im Wahlkampf 2001 öffentlich seine Homosexualität bekannte, hat seine Popularität beständig zugenommen, sein Satz „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ ist heute sprichwörtlich. Der Tabubruch, die Ex-SED in der Hauptstadt an der Macht zu beteiligen, ist fast geräuschlosem Regierungsalltag gewichen. Zwar betont Wowereit, dass eine Koalition mit der Linkspartei im Bund derzeit nicht zur Debatte stehe. Aber dabei muss es nicht bleiben. Er könnte sich bei der nächsten Bundestagswahl als Vorreiter neuer Bündnisse präsentieren: Rot-Rot? Rot-Rot-Grün? Kein Problem für den Mann von der Spree.