: Wehrdienst-Debatte soll Stimmen bringen
ÖSTERREICH Am Wochenende wird in Wien ein neuer Bürgermeister gewählt. Gute Chancen, im Amt bestätigt zu werden, hat der Sozialdemokrat Michael Häupl. Jetzt propagiert er die Abschaffung der Wehrpflicht
WAHLSLOGAN DER FPÖ
WIEN taz | Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat wenige Tage vor seiner dritten Wiederwahl mit einer Überraschung aufhorchen lassen. Wenn es nach ihm ginge, würde er die Wehrpflicht abschaffen. Das ist in Österreich Bundeskompetenz, doch Häupls Wort hat in der SPÖ Gewicht. Umgehend sprang Bundeskanzler Werner Faymann auf den Zug auf und unterstützte den Vorschlag, über das Thema bald eine Volksbefragung durchführen zu lassen. Bei vielen Jugendlichen, die die sechs Monate beim Bundesheer als verlorenes halbes Jahr fürchten, könnte das die Wahlentscheidung beeinflussen.
Wien wird im internationalen Städtevergleich seit Jahren als lebenswerteste Großstadt geführt. Selbst die Verschuldung ist vergleichsweise gering. Seit Gründung der Zweiten Republik 1945 wird die Hauptstadt von der SPÖ regiert. Seit neun Jahren sogar mit absoluter Mandatsmehrheit. Diese will Häupl verteidigen, obwohl ihm Umfragen Verluste prognostizieren. Geteilte Macht schmeckt ihm nicht, wie er bei Interviews stets demonstriert.
Sollte es dennoch nicht reichen, dienen sich ihm mit ÖVP und Grünen gleich zwei Koalitionspartner an. Beide sind im Vergleich Leichtgewichte. Die ÖVP kann mit rund 17 Prozent Zustimmung rechnen, die Grünen wollen ihre 15 Prozent verteidigen, haben aber wegen zahlreicher Zwistigkeiten in den Bezirksvertretungen schlechte Karten. In zwei Bezirken, in denen die Grünen die relative Mehrheit stellen bzw. erobern könnten, werden nach Spaltungen jeweils zwei grüne Listen antreten.
Der Streit an der Basis überlagerte alle anderen Themen, mit denen Spitzenkandidatin Maria Vassilakou – eine eingebürgerte Griechin – sich zu profilieren versuchte. Die ÖVP kann den Preis für den schwachsinnigsten Wahlkampf beanspruchen. Die Parteijugend ist mit dem schwarzen „Geilo-mobil“ unterwegs und verteilt Kondome in der Parteifarbe mit dem Aufdruck „Schwarz ist geil“. Frontfrau Christine Marek bedient gleichzeitig den rechten Flügel mit der Forderung, die Bezieher der neuen Mindestsicherung zur Zwangsarbeit einzusetzen.
Bis Häupls Wehrpflicht-Coup wurde der Wahlkampf vom Thema Integration beherrscht, das die FPÖ wieder einmal mit subtilen Botschaften wie „Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut niemandem gut“ emotional aufzuladen verstand. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, der täglich durch die Discos tourt, appelliert in bewährter Manier an Modernisierungsverlierer und Unterschichts-Kids, die in Schulklassen mit fremdsprachiger Mehrheit sozialisiert wurden. In Werbecartoons tritt er als barocker Super-Hero auf, der bei der Wiener Türkenbelagerung von 1683 einem Jungen eine Burenwurst verspricht, wenn er einen Türken mit der Steinschleuder ins Gesicht trifft.
Den Vorwurf der Volksverhetzung weist Strache zurück. Seine Sympathisanten finden an den Brutalo-Comics genauso wenig Anstößiges wie an den bei manchen Wahlkampfauftritten anwesenden Neonazis. Alles andere als ein zweiter Platz mit knapp über 20 Prozent wäre für die FPÖ eine überraschende Schlappe.
Ob die Wehrdienstdebatte so knapp vor dem Wahltag am kommenden Sonntag noch viel verändert, ist zweifelhaft. Politologen halten neue Themen in der Zielgeraden für unwirksam. Häupl hat aber mit seinem Interview im Massenblatt Kronen Zeitung für größtmögliche Verbreitung seines Vorstoßes gesorgt. Dass die Krone schon seit Wochen gegen die Wehrpflicht Front macht, mag ein zusätzlicher Grund sein. In Verlegenheit brachte der Bürgermeister damit jedenfalls seinen Parteikollegen Verteidigungsminister Norbert Darabos, der erst vor zwei Wochen keine Veranlassung gesehen hatte, den Wehrdienst in Frage zu stellen. RALF LEONHARD