Wälsungenblut, deutschreligiös

AFGHANISTAN Ingo Niermann und Alexander Wallasch proben als Koautoren mit ihrem Porno-Roman „Deutscher Sohn“ die ultimative Provokation

Man hörte schon, dieser Band werde einschlagen „wie eine Bombe“. Wirklich? Endlich ein gelungener Text über den Bundeswehreinsatz am Hindukusch? Das wäre in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die um dieses heiße Eisen bisher eher einen Bogen gemacht hat, eine Überraschung.

Ingo Niermann, der sein Publikum mit dem Esoterik- und Weltverschwörungspamphlet „Metan“ eher ratlos machte, das er 2007 zusammen mit Christian Kracht publizierte, hat sich einen neuen Koautor gesucht: An „Deutscher Sohn“ schrieb Alexander Wallasch mit, dessen Debütroman „Hotel Monopol“ Niermann 2006 in der Welt rezensierte. Und nun haben wir den Salat.

Harald Heinemann (28), genannt „Toni“, ist in Afghanistan schwer am Oberschenkel verwundet worden. Zurück in Deutschland wirft er Schmerzmittel ein und trinkt Adelskronen-Pils aus Plastikflaschen, während seine klaffende Verletzung einfach nicht mehr heilen will. Gegen die Langeweile surft er auf seiner Lieblingswebsite „gangbang-mordlust.de“.

Gleichzeitig übt der gehandicapte Kriegsveteran auf Frauen eine erstaunliche Anziehungskraft aus. Selbst Katja, eine attraktive Lokalpolitikerin der Linkspartei, wird schwach, und der Ich-Erzähler staunt nicht schlecht: „Jetzt steigt die schöne Linke aufs Bettsofa und senkt sich auf mein Haupt, als wolle sie im Wald pissen.“

Umso krasser wird im Text weiter gepimpert, als die 19-jährige Pflegepraktikantin Helen auf den Plan tritt. Sie lässt sich ihre Körperöffnungen von dem agilen Rekonvaleszenten begierig mit Dildos, Scheren und zuletzt sogar einem ganzen „Avocadogelege“ stopfen. Dazu legt das Pärchen Richard-Wagner-Ouvertüren von „Tannhäuser“ bis „Rienzi“ auf: „Traumhaft schön!“

Diese drastische „Feuchtgebiete“-Version von Thomas Manns Décadence-Novelle „Wälsungenblut“, in der Wagners Musik auch schon den passenden Ursoundtrack für verruchte Schmusekurse auf dem Bärenfell liefern musste, ist das eine. Doch Niermann und Wallasch setzen noch einen drauf. Toni entstammt einer Sippe von „Deutschreligiösen“ – gläubigen Rassenesoterikern, die ihre Linie vom Aussterben bedroht sehen und letzte Hoffnungen in den kampferprobten „Deutschen Sohn“ setzen. So kommt es, dass ein Großteil des Romans vor misogynen und rassistischen Germanienmythos-Hirngespinsten nur so strotzt.

Ausgerechnet während einer Aufführung von Wagners „Parsifal“ erkennt Toni seine Auserwähltheit schließlich selbst, begleitet von einer altbekannten Geste: „Instinktiv, in absoluter Klarheit, strecke ich meinen rechten Arm in Richtung Bühne aus.“ Entzückt entfährt es dem Erleuchteten: „Die Weltenesche! Die heilige Irminsul!“ Ganz am Ende erkennt der messianische Protagonist dieses angeblichen Antikriegsromans: „War Afghanistan fremd für mich, wird es allen meinen Nachfahren vertraut sein. Durch mich.“

Pazifismus klänge wohl anders. Klar, das ist bloß Literatur – und der Text deutet an, dass das alles auch wieder nur eine Halluzination gewesen sein könnte, als Folge einer posttraumatischen Therapiesituation. Das sind jene berühmten „Brüche“, die man auch Niermanns früherem Koautor Kracht immer wieder emsig zugute hält, wenn er mit ähnlichen Irritationen spielt.

Dennoch erzeugt dieser Roman nichts weiter als das, was man Affirmation nennt. Junge NPD-Wähler dürften diesen Text mindestens genauso genießen können wie unbelehrbare Popliteraturdandys. Aber nicht alle Provokationen sind witzig, nicht jede Obszönität ist so „erhaben“, wie der Klappentext des Bandes suggeriert. JAN SÜSELBECK

Ingo Niermann, Alexander Wallasch: „Deutscher Sohn“. Blumenbar, Berlin 2010. 316 Seiten, 19,90 Euro