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Archiv-Artikel

Schmidt bleibt, Gesundheitsreform wackelt

Kanzlerin dementiert Entlassung der Ministerin, stellt aber bereits beschlossene Eckpunkte der Reform in Frage

BERLIN taz ■ Klaus Vater schreibt in seiner Freizeit Krimis. Nun ist der Sprecher von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) selbst zum Nebendarsteller in einem Politthriller geworden, der gestern einen neuen Höhepunkt erreichte. Er trägt zwar den drögen Titel „Verhandlungen über die Gesundheitsreform“, könnte aber den Fortbestand der Bundesregierung gefährden. Vater sah sich gezwungen, Spekulationen über eine mögliche Entlassung seiner Chefin als „abstrus“ zurückzuweisen. Auch Regierungssprecher Ulrich Wilhelm dementierte einen Bericht der Süddeutschen Zeitung, wonach das Vertrauen zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Schmidt schwer beschädigt sei.

Alle Beschwichtigungen ändern jedoch nichts daran, dass sich der Streit um die Gesundheitsreform in der großen Koalition zuspitzt. Führende Unionspolitiker verstärkten ihre Kritik an Schmidts Vorarbeiten für den Gesetzentwurf und stellten neue Forderungen auf. So verlangte CSU-Chef Edmund Stoiber gestern, dass der geplante Gesundheitsfonds durch „regionale Zu- und Abschläge“ ergänzt werde. Denn die Bayern haben sich ausgerechnet, dass ihnen 1,7 Milliarden Euro verloren gehen, wenn der Fonds wie bisher geplant die Versichertengelder in ganz Deutschland umschichtet. Nach den Vorfestlegungen der Koalition würde der Fonds den Versicherten in den relativ reichen Südwest-Ländern höhere Beiträge zugunsten der ärmeren Ost-Länder abnehmen. Stoiber sagte dazu: „Bei der Umsetzung müssen wir aufpassen, dass Bayern nicht benachteiligt wird.“

Während die regionale Geldverteilung auch innerhalb der Union umstritten ist, kämpfen CDU und CSU vereint dafür, höhere Zusatzbeiträge für die einzelnen gesetzlich Versicherten einzuführen, als die Koalition im Juli vereinbarte. Gemäß den „Eckpunkten“ sollten die Kassen einen Zusatzbetrag von ihren Mitgliedern erheben können, wenn ihnen das Geld aus dem Fonds nicht reicht. Die SPD setzte durch, dass dieser Zusatzbeitrag 1 Prozent des Einkommens nicht überschreiten dürfe, um „individuelle soziale Härten“ zu vermeiden, wie in den Eckpunkten ausdrücklich festgehalten wurde. „Die SPD kann die 1-Prozent-Regelung unter keinen Umständen opfern“, sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gestern der taz. Schließlich sei es schon eine „Ohrfeige für die SPD“ gewesen, dass die Union die Einbeziehung der Privatversicherten in den Fonds verhindert habe, den gesetzlich Versicherten aber eine kleine Kopfpauschale zugemutet werden solle. Wenn nun auch noch die 1-Prozent-Grenze wegfalle, wäre dies „der K.-o.-Schlag“.

Doch die Union will die 1-Prozent-Deckelung unbedingt kippen, um den „Wettbewerb zwischen den Kassen“ zu fördern. In der CDU-Präsidiumssitzung am Montag soll die Kanzlerin ihren Parteifreunden Nachverhandlungen in Aussicht gestellt haben. Ihr Sprecher Wilhelm räumte gestern ein, die 1-Prozent-Grenze sei „Bestandteil der Eckpunkte“. Diese müssten aber „praktikabel umgesetzt“ werden. Wie Merkel und Schmidt eine allseits akzeptierte Lösung finden wollen: unklar. LUKAS WALLRAFF