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Archiv-Artikel

Ein NPD-Verbot ist weiterhin möglich

STUTTGART taz ■ Kaum gelingt der NPD ein Wahlerfolg, flammt auch die Debatte um ein Verbot der rechtsradikalen Partei wieder auf. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte am Dienstag, er wolle mit Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) über die Erfolgsaussichten eines neuen Verbotsverfahrens sprechen. Schon vor der Wahl hatte unter anderem Wolfgang Thierse, der SPD-Bundestagsvizepräsident, einen neuen Anlauf beim Bundesverfassungsgericht gefordert.

Der letzte Anlauf scheiterte im März 2003. Damals erzwangen drei Richter – eine Sperrminorität – die Einstellung des Prozesses wegen „nicht behebbarer Verfahrenshindernisse“. Die getrennt eingebrachten Verbotsanträge von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag waren damals zunächst vom Tisch.

Völlig aussichtslos wäre ein neuer Versuch, die NPD für verfassungswidrig zu erklären, aber nicht. „Das Instrument des Parteiverbots ist heute genauso tauglich wie vor der Entscheidung im März 2003“, sagte Anfang 2005 der damals zuständige Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch im taz-Interview. Er widersprach so dem Vorwurf, Karlsruhe habe die Anforderungen an ein Parteiverbot unzumutbar erhöht.

Ähnlich die Spitze des höchsten Gerichts: Präsident Hans-Jürgen Papier unterstrich, die Einstellung des Verbotsverfahrens im März 2003 stelle „keine Vorentscheidung über künftige Verbotsanträge dar“. Vizepräsident Winfried Hassemer sagte: „Das Verfassungsgericht hat die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren nicht neu erfunden, sondern sie präzisiert.“ Ein Parteiverbotsverfahren sei „nach wie vor durchführbar“.

Tatsächlich sind die von Karlsruhe aufgestellten Anforderungen durchaus erfüllbar. Zum einen forderten die Verfassungsrichter damals, dass V-Leute in der NPD-Spitze künftig „unmittelbar vor und während der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens“ abgeschaltet werden. Die drei maßgeblichen Richter sahen eine unzulässige Schwächung der Partei im Verbotsverfahren, wenn wichtige Funktionäre zugleich für Partei und Staat tätig sind – und deshalb „einander entgegengesetzten Loyalitätsansprüchen“ ausgesetzt sind. Der Staat müsse seine Spitzel selbst dann abschalten, wenn er sie nicht benutzt, um die NPD zu steuern oder deren Prozessstrategie auszuforschen. Die zweite Kritik der drei Richter betraf die Gestaltung der Verbotsanträge. Die dort zitierten Äußerungen von V-Leuten hätten als solche gekennzeichnet oder ganz weggelassen werden müssen. Erst nach und nach hatte Berlin offengelegt, welche Belastungs-Aussagen in den Anträgen von V-Leuten stammten.

Unerfüllbar sind diese Anforderungen also nicht, die Politik setzt aber andere Prioritäten. Bei der Innenministerkonferenz im Februar 2005 war kein einziges Land bereit, seine Spitzel in der NPD-Führung abzuschalten, um ein neues Verbotsverfahren zu ermöglichen. Auch der neue Bundesinnenminister Schäuble hat vorige Woche die Ablehnung eines neuen Anlaufes zum NPD-Verbot damit begründet, dass die Partei während des Verfahrens nicht mit V-Leuten beobachtet werden könne. CHRISTIAN RATH