zwischen den rillen
: Geben und nehmen lassen

Sehnsuchtsmomente der Siebziger bei den Scissor Sisters und Darkel, dem Solo-Debüt von Airs Jean-Benoît Dunckel

Nein, ein so ungestüm sich durch Glamrock, Dancefloor und Kitschballaden zum Zwergenparty-Finale aus „Wizard of Oz“ hochwirbelndes Gesamtkunstwerk, das haben die Scissor Sisters nicht wieder hinbekommen. Macht nichts. Stattdessen wird auf „Ta-Dah“, der Nachfolge-CD zum selbstbetitelten Debüt von vor zwei Jahren, sondiert und geordnet, was auf dem Gelände namens Pop sonst noch möglich ist.

Warum auch fremdgehen, womöglich in Kollaboration mit einem Hiphop-Produzenten, damit es besser zu MTV passt? Schließlich besitzt die Band nach 3 Millionen verkauften Alben selbst genügend Bling-Bling und Celebrity-Status, wurde mit zahllosen Musikbranchenpreisen ausgezeichnet und hat einen schicken Fanclub um sich geschart, zu dem neben Bono und Brian Ferry auch die Modepäpstin Vivienne Westwood gehört.

Trotzdem ist „Ta-Dah“ keineswegs der Versuch, einfach auf Wowereit-Art durchzuregieren als queere Supergroup. Schon die erste Single-Auskoppelung „I don’t feel like dancin‘“ ist bei allem Frohsinn, bei aller Discorappeligkeit und dem dazu passenden, im Kropfton der Bee Gees vorgetragenen Falsettgeheule bereits ein unwirscher Kommentar auf die Veränderungen, die sich für die Band vollzogen haben. Plötzlich soll er, so singt Jake Shears, auf Knopfdruck als Homo-Stimmungskanone funktionieren; und dagegen lehnen sich seine Scissor Sisters nun genau mit ebenjener leidenschaftlichen Verve auf, für die sie zuvor noch auf etlichen CSDs befeiert wurden. Man kann das Ironie nennen oder auch Nichteinverstandensein auf höchstem Verkaufsniveau.

Denn die Strategie, den Erwartungshaltungen bei gleichzeitiger Geschmeidigkeit in der Komposition zu widerstreben, zieht sich durch alle Stücke auf „Ta-Dah“. Nichts als Hits, aber unterschwellig immer kratzbürstig bleiben. Da wird „She’s my man“ zu einem Lovesong auf New Orleans, nicht ohne den Verweis, dass sich Bush bei der Katastrophe durch Katrina ziemlich schäbig benommen hat. Und in „I can’t decide“, einer hübsch honkytonky klimpernden Vaudeville-Nummer, mokiert sich Shears zwischen lauter Ficks und Küssen darüber, dass man in Partnerschaften sehr schnell auf eine Rolle festgelegt wird. Stattdessen setzt er auf: Geben und nehmen lassen. Das sind schöne, wahre und in ihrer Bissigkeit dem Leben angemessene Zeilen, zu denen die Band dauernd neue Schnörkel aus dem Hut zaubert. Zirkusmelodien, kühl eingegelte New-Wave-Gitarren, schwerer Siebziger-Jahre-Pomp. Jede Menge Zitate zwar, doch nicht als Zierrat, sondern aus Überzeugung – und mit melancholischem Blick auf eine Ära, in der Freizügigkeit ein hart erkämpftes Gut war.

Bei Jean-Benoît Dunckel liegen die Verhältnisse ähnlich. Nach dem Erfolg seiner Band Air konnte der bekennende Bohemien aus Versailles solo für sein Projekt unter dem Namen Darkel ja praktisch machen, was er wollte. Jetzt merkt man allerdings, wie ernst es dem Sänger/Songschreiber ist mit dem ungeheuren Weichzeichner-Kitsch, den Air in den letzten zehn Jahren als Filmsoundtracks, für Tanzflächen und Kuschelhöhlen produziert haben.

Man wird bei Darkel schlichtweg bis zum Irrsinn mit Wohlklang bombardiert. Wie hier tief aus der Seventies-Kiste bizarre Moog-Orgien hervorgeholt und mit crazy Swinger-Club-Gestöhne gepaart werden, das ist Schmierigkeit mit Stil. Dunckel gibt sich zu heruntergedimmten Stehblues-Beats als Erotomane oder liebeshungriger Seemann und schreckt nicht einmal vor psychedelisch orgelnden Eskapaden ins Weltall zurück. Oder vor Punk. Dann singt er näselnd „destroy your tv“, weil auch Rebellion ziemlich Siebziger war. Und es klingt wie Iggy Pop und trés chic zugleich. HARALD FRICKE

Scissor Sisters: „Ta-Dah“ (Universal)Darkel: „Darkel“ (EMI)