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Musik für die Augen

Pixel-Kunst auf leisen Sohlen: Das VJ-Festival „sehkanal“ will auch „Guerilla“ sein – und die Sehgewohnheiten befreien. Die Hauptsache: Schön soll es dabei zugehen

Man kann es sich als eine Art Videotapete vorstellen – oder als avantgardistische Fusion von Experimentalfilm und Techno-Kultur. Je nachdem. „Visual-Jockeys“ illuminieren in Echtzeit Elektro-Parties mit Endlosschleifen digitaler Bildflüsse. Mal figürlich, mal abstrakt, immer jedoch bewegt – und im Idealfall gleichzeitig passend und antagonistisch zur Musik. Das, so findet der Bremer Filmemacher Christian Meier-Kahrweg, kann hohe Kunst sein – und dem Wirken der Party-Stars, der DJs, durchaus ebenbürtig. Herumgesprochen hat sich das jedoch noch nicht, und so werden die Projektions-Künstler oft als bessere Dekorateure abgetan. Meier-Kahrweg, 39 Jahre und VJ im Ruhestand, findet das ungerecht. „VJing ist eine eigene Kunstform,“ sagt er. Die Projektionen könnten Räume atmosphärisch aufladen und „ganz neu definieren“ – wenn sie denn „gut“ seien.

„sehkanal.06“ hat Meier-Kahrweg sein kürzlich gestartetes zweimonatiges Festival genannt, in dem er „die jüngste unter den bildenden Künsten im kulturellen Kontext“ präsentieren will. Darbietungen vielversprechender und altgedienter „Visual-Artists“, sollen die junge Kunst nicht nur bekannter machen, sondern vor allem auch weiterentwickeln helfen.

Wann ist eine Projektion denn gut? „Die Bilder sollen nicht beliebig sein – und schön“. Viele VJs, sagt Meier-Kahrweg, verwendeten die immer gleichen Samples, die in der Szene schon seit Jahren kursieren. So werde man den Möglichkeiten des VJing nicht gerecht. Dessen Stärke nämlich liege in der Befreiung der Bilder vom Sinn-Zwang. „Bilder müssen heute immer Geschichten erzählen, dokumentieren. Ihnen muss Ratio, also Vernunft, innewohnen. Das verengt Sehgewohnheiten“. Die abstrakte Bildwelt der VJs, in die nur der Betrachter Sinn projiziert, biete mithin Raum für „neues Sehen“.

In den Festival-Materialien ist von „VJ-Guerilla“ die Rede. Ist das nicht eine Art kategoriales Che-Guevara-T-Shirt, für eine Kunst, die sich dezidiert dem Ästhetischen widmet? Meier-Kahrweg widerspricht. Mit Bildern, die Jugendliche aus drei Bremer Stadtteilen gesammelt haben, will er Projektionen an die Wände von Wohnhochhäusern werfen. Unangemeldet. „Wegen des Überraschungseffektes“. Anstößige Inhalte will er zuvor aussortieren – „man kann ja auch positiv provozieren.“ Die Nutzung öffentlichen Raumes will Meier-Kahrweg so zum Thema machen. Ganz dezent. Projektionskunst und Aneignung öffentlicher Räume: Die Anklänge an die offensiven „Reclaim the Streets“ sind unüberhörbar. Angriffe auf Verwertung, Kontrolle, Ausschluss – wo „Reclaim the Streets“ eine Kriegserklärung an urbane Umstrukturierung zelebriert, will Meier-Kahrweg nurmehr „erinnern, dass es öffentlichen Raum gibt“. Bereits dieses Bewusstsein, so Meier-Kahrweg, sei nämlich vielen Menschen verloren gegangen. Was diese aus der neu gewonnen Erkenntnis machen, will er ihnen jedoch selbst überlassen.

Meier-Kahrweg begreift das VJ-ing auch als eine Art Beitrag zur gesellschaftlichen Integration – von Gehörlosen nämlich. Denen bleibt auf Partys oft nur, direkt vor den Boxen ein klein wenig der sie umgebenden Musik zu erspüren. Durch die visuelle Re-Inszenierung der Töne erhalten sie einen direkteren Zugang zur Party-Atmosphäre, ist Meier-Kahrweg überzeugt.

Christian Jakob

Sonntag um 21 Uhr am Pink House Gröpelingen, weiteres Programm bis 21. Oktober, www.sehkanal.tv

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