„Der Markt funktioniert“

Aktien von Solar- oder Windkraft-Firmen sind nahezu risikolose Investments, meint Dresdner-Bank-Vorstand Otto Steinmetz

taz: Herr Steinmetz, Sie sind oberster Risikomanager der Dresdner Bank. Was muss man sich darunter vorstellen?

Otto Steinmetz: In einer Bank gibt es einerseits Vertriebsexperten, die Geschäfte an Land ziehen und Umsätze generieren. Andererseits gibt es Risikomanager, die losgelöst vom Umsatzzwang bewerten, wie wirtschaftlich interessant die eingeworbenen Geschäfte sind, ob die Risiken, die das Geschäft birgt, vertretbar sind. Geschäfte ohne Risiken gibt es nicht.

Als Umweltschützer vor 15 Jahren vor dem Klimawandel warnten, wurden sie verspottet. Heute sagen Umweltschützer: Dieser Sommer ist kein gelebter Klimawandel, sondern extremes Wetter.

Klimatologen sagen aber auch: Gehäufte Wetterextreme sind Vorboten des Klimawandels. Dürren im Wechsel mit Fluten – ich muss, glaube ich, die Extreme der letzten Jahre nicht aufzählen. Ich bin seit einem Jahr Chairman der „Allianz Climate Core Group“…

also Leiter der Steuerungsgruppe „Klima“.

Genau. Als Versicherer ist die Allianz durch Stürme, Fluten, Dürren und Brände besonders stark gebeutelt. Deshalb ist für den Konzern von zentraler Bedeutung zu wissen, was auf ihn zukommt. Die „Allianz Climate Core Group“ ist eine gruppenweite Task Force, die alle mit dem Klimawandel verbundenen Risiken systematisch zusammenführt und für die Geschäftstätigkeit verfügbar macht, das heißt, Schäden zu senken und Produkte für den Markt zu entwickeln.

Es gibt jede Menge Forschungsinstitute, die sich mit diesen Dingen befassen. Trotzdem gründet die Allianz ein eigenes Kompetenzzentrum. Misstrauen Sie dem Stand der Wissenschaft?

Im Gegenteil: Wir versuchen, ihn zu komplettieren und für uns nutzbar zu machen. Die Allianz ist ein weltweit agierendes Unternehmen – also sind uns auch weltweite Daten zugänglich. Daneben gibt es eigene Kompetenzen: Die Dresdner Bank ist eine Tochter der Allianz. Wir haben zum Beispiel das EU-Handelssystem für CO2-Emissionsrechte von Beginn an unterstützt.

RWE hat gerade in einem Prozess gegen Greenpeace vor dem Kölner Oberlandesgericht argumentiert: Der Klimawandel ist noch gar nicht nachgewiesen. Sollten ihre Aktienanalysten RWE-Papier noch zum Kauf empfehlen?

Was Firmenanwälte vor Gericht sagen, um einen Prozess zu gewinnen, ist eine Sache. Trotzdem fände ich einen derartigen Vorgang bemerkenswert. Analysten empfehlen Aktien beispielsweise dann, wenn Fundamentaldaten wie Profitabilität und Cash Flow stimmen. Bei uns im Hause ist es aber zunehmend üblich, nachhaltige Kriterien mit zu berücksichtigen. Auch die Verbraucher haben mittlerweile die Chance, sich zu entscheiden: Sie können zum Beispiel einen Energielieferanten wechseln.

Gerade mal zwei Prozent der Deutschen haben bisher gewechselt! Woran liegt das?

Am Bewusstsein. Nehmen Sie die beiden Lampen dort (zeigt hinter seinen Schreibtisch). Als ich heute früh kam, hab ich die ausgemacht. jetzt sind sie wieder an – obwohl bester Sonnenschein ist. (geht die Lampen ausmachen). Wir müssen das Bewusstsein der Menschen erreichen. Nur so lassen sich Gewohnheiten ändern.

Erhebt sich die Frage: Wie?

Wir versuchen, das Unsere zu tun. So haben wir uns verpflichtet, als Konzern 20 Prozent Kohlendioxid bis 2012 einzusparen und dadurch in Effizienz zu investieren. Darüber hinaus haben wir im vergangenen Jahr erheblich in den Energiesektor investiert. Ich könnte viele solche Beispiele nennen. Dieser Sektor sollte auch zunehmend in den Fokus von Privatanlegern rücken, welche immer noch zumeist Bundesanleihen kaufen.

Wo sollten die Privatanleger denn besser investieren?

In eine Solaranlage. In einen Windkraft-Fonds. In Aktien eines Biomasse-Kraftwerkherstellers. Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sind das, sofern richtig aufgesetzt, nahezu risikolose Investments. Sie helfen dem Klima und bringen deutlich mehr Rendite als Bundesanleihen. Seit 30 Jahren beklagen die Banken, dass nur etwa fünf Prozent des Volksvermögens in Aktien angelegt sind. Der Deutsche bevorzugt offensichtlich sein Sparbuch und seine Bundesanleihen, die rund vier Prozent bringen.

Ist die deutsche Wirtschaft auf der Höhe der Zeit?

Zumindest gibt es in den meisten deutschen Konzernen leitende Mitarbeiter, die auf dem Stand der Wissenschaft sind. Richtig ist allerdings auch, dass es Unternehmensführungen gibt, die diesen Sachverstand nicht abfragen wollen.

Warum nicht?

Unternehmen haben das Problem, dass jede technologische Neuerung auf ihre Marktfähigkeit hin untersucht werden muss und zudem gegen das bestehende Investment steht. Nehmen Sie beispielsweise die Automobil-Wirtschaft: Natürlich haben die Konzerne Konzepte für sparsamere Motoren, für saubere Mobilität, für neue Antriebsarten. Der Übergang auf eine neue Technologie kann aber heikel sein; extrem vereinfacht ausgedrückt: Wenn bestehende Werke und Technologien abgeschrieben werden müssen, geht der Gewinn runter. Geht der Gewinn zurück, drückt dies auf den Aktienkurs. Ein fallender Aktienkurs bedeutet Rückgang der Marktkapitalisierung – das Unternehmen ist an der Börse weniger wert. Und wenn die Marktkapitalisierung leidet, können Sie einen Konkurrenten in Versuchung bringen, diese Schwäche durch ein Übernahmeangebot auszunutzen, um Marktanteile zu gewinnen.

Also lieber Klimasau bleiben?

Die Kunst besteht darin, dass ein Konzern die Abschreibung der alten Technologie zeitlich so streckt, dass er sie in seinen Jahresergebnissen verarbeiten kann. Das sind schwierige Übergänge. Dabei hilft es, wenn eine neue Technologie am Markt finanziell erfolgreich ist.

Wir haben aber keine Zeit: Nach jüngsten Prognosen des Internationalen Klimasekretariates haben wir 2050 nicht 60 Prozent weniger Klimakiller in der Luft, sondern 200 Prozent mehr – selbst wenn Kioto klappt, ist Klimaschutz in einem kapitalistischen System überhaupt möglich?

Der Markt als Mechanismus jedenfalls funktioniert, wie man am Handel mit Verschmutzungsrechten – den sogenannten CO2-Zertifikaten – sieht. Wichtig ist, dass die Politik dem Markt einen vernünftigen Rahmen setzt. Der steht noch nicht.

Wieso?

Natürlich brauchen wir einen Anreiz zur Minderung der Emissionen aus dem Verkehr. Natürlich brauchen wir Sanktionen gegen jene, die die Kioto-Ziele nicht erreichen werden. Nehmen Sie den Handel mit CO2-Zertifikaten: Die EU hat dem neuen Markt keinen einheitlichen Rahmen gegeben. Einige Länder sind kürzlich mit der Veröffentlichung ihrer Emissionsdaten vorgeprescht und haben dadurch die Preise ins Rutschen gebracht. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Informationsvorsprünge von Marktteilnehmern aus diesen Ländern ausgenutzt worden sein könnten.

Ziel muss die Einrichtung einer neutralen Stelle sein, die zu bestimmten Stichtagen die entsprechenden Information publik macht. Dann hat niemand einen zeitlichen Vorsprung. Es gibt sonst überall Regeln, die dafür sorgen, dass Transparenz herrscht. Bei diesem Markt haben wir das noch nicht. Vor allem müssen Zertifikate weiter verknappt werden, damit es eine stärkere Stimulanz für Klimaschutz gibt.

Eine Empfehlung, die der Klimakongress des Stromkonzerns EnBW letzte Woche lieferte, ging so: Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke sind gut fürs Klima. Umweltminister Siegmar Gabriel hat das am Wochenende abgelehnt. Wer hat Recht?

Kernkraftwerke wie in Deutschland – mit hohem Sicherheitsstandard – können eine vorübergehende Alternative sein. Dies gilt nicht für Kraftwerke – etwa in Osteuropa –, die diesen Standards nicht genügen. Letztlich aber ist Kernkraft nur eine Übergangstechnologie – die Zukunft gehört erneuerbaren Energiequellen.

INTERVIEW: NICK REIMER