ZWISCHEN DEN RILLEN : Das verflixte zweite Album
Herrenmagazin: „Das wird alles einmal dir gehören“(RAR/Rough Trade)
Der große und der kleine Löwe sitzen auf dem Königsfelsen und betrachten den Sonnenaufgang über der Savanne. Alles, was das Licht berühre, so spricht der große Löwe, sei ihr gemeinsames Königreich. Und all das werde irgendwann einmal ihm, dem kleinen Löwen, gehören.
Womöglich fühlten sich die Mitglieder der Hamburger Band Herrenmagazin von ihren frühen cineastischen Erlebnissen inspiriert, als sie sich auf die Suche nach einem Titel für ihr neues Album begaben. Schließlich erinnert „Das wird alles einmal dir gehören“ stark an Disneys „König der Löwen“ und Simbas Einführung in den Kreis des Lebens. Allerdings ist Herrenmagazin eine Band, die sich bisher eher in der Rolle des kleinen Löwen befand.
Unterstützt von schweren Jungs – namentlich etwa Jan Müller (Tocotronic) – fanden die vier (Wahl-)Hamburger 2008 ihren Weg in die Gehörgänge eines größeren Publikums. Grundlage hierfür war ihr Debütalbum „Atzelgift“, das aus dem Nichts kam und auch von diesem Ort erzählte. Mit hanseatischer Zurückhaltung besangen Herrenmagazin die Lebenswelt der vergeblich nach kleinem Sinn und großer Liebe suchenden Mittzwanziger.
Eine Faustregel des Pop besagt, dass die zweite Platte die schwierigste ist. Mit dieser Bürde plagen sich auch Herrenmagazin, müssen sie mit ihrem Zweitling doch zeigen, dass sie das Blut ihrer Hörer auch ohne Newcomer-Bonus zum Kochen bringen. Für dieses heikle Unterfangen taten sich die vier Jungs mit Produzent Torsten Otto zusammen. Herausgekommen sind Songs, die live im Studio eingespielt wurden, musikalisch aber lediglich durch einen recht unterschiedslosen Indierock mäandern.
Dagegen ist bei einer Band wie Herrenmagazin – die vor allem wegen ihrer Texte wahrgenommen wird – nichts einzuwenden. Der große Unterschied zu „Atzelgift“ findet sich dann auch weniger in musikalischen Feinjustierungen als in der neuen textlichen Schlagrichtung der Band um Sänger Deniz Jaspersen. Statt Liebesleid steht der Wunsch nach politischer, gesellschaftlicher, philosophischer und spiritueller Erkenntnis. Nicht mehr die letzte Nacht am Tresen steht im Zentrum, sondern das Sinnen über das große Ganze.
Den Auftakt der Platte bildet „In den dunkelsten Stunden“ – ein von einem stumpfen Rhythmus untermaltes Bekenntnisstück. Jaspersen singt über Glauben und Hoffnung, schafft es aber nicht, diese schwierigen Themen aus der Ecke einer zweifelnden Kirchentags-Combo zu befreien. Und so muss er schließlich doch voll bitterer Enttäuschung feststellen: „Ich glaube ja doch an die Hoffnung/Aber nicht an eine bessere Welt“.
Überhaupt: Die Gegenspieler Glaube und Zweifel ziehen sich durch fast alle Songs. Jaspersen scheint beim Texten direkt den großen existenziellen Fragen begegnet zu sein. Und so bekommt auch Gastsänger Gisbert zu Knyphausen in „Alle sind so“ vorgejammert: „Ich verlier meinen Glauben/Diese Welt verdient keinen Glauben“. Allzuoft verliert sich Jaspersen in viel zu große Kategorien, ohne die Gedankenschwere mit Erkenntnissen füllen zu können, die nicht längst im Reli-Grundkurs der gymnasialen Oberstufe abgehandelt wurden.
Da ist vom „Teufel“, von „Dämonen“ und „Abgründen“ zu hören, die Welt ist „gepflastert mit Leichen“ – und all das wird von der brüchigen Bruststimme Jaspersens intoniert. Trotzdem gibt es auch einige Lichtblicke, in denen Herrenmagazin die Erkenntnismaschinerie etwas zurückfahren und sich auf das besinnen, was sie 2008 zum Geheimtipp werden ließ. Scheinbar banale Beobachtungen des Alltäglichen wie in „Fahne“ haben ungleich mehr Tiefe als der Versuch, letzte Fragen gültig zu beantworten.
Manchmal sollte man eben besser die Risse der eigenen Hand zählen, wie es Jaspersen in diesem Lied tut, anstatt verzweifelt nach dem Allmächtigen Ausschau zu halten. Wenn Herrenmagazin sich auf das Große im Kleinen besinnen, kann über eine Umverteilung im Königreich nachgedacht werden. Bis dahin muss sich der kleine Löwe noch etwas gedulden. TOBIAS NOLTE
■ Herrenmagazin live: 16. 10. Berlin, 22. 10. Oberhausen, 26. 10. Leipzig, 27. 10. Frankfurt, wird fortgesetzt