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Archiv-Artikel

Deutschland soll noch mehr sparen

HERBSTGUTACHTEN Wirtschaftsforscher sehen Deutschland auf gutem Weg, die Folgen der Krise wettzumachen – und raten zur Konsolidierung. Kritiker: Höhere Einkommen nötig

Lehren aus der Krise kommen in dem Gutachten nicht vor

VON BEATE WILLMS

Die Herbstgutachter haben es schwer. Immer wenn die von der Bundesregierung beauftragten Wirtschaftsforschungsinstitute Mitte Oktober ihre Gemeinschaftsdiagnose zur Lage der Wirtschaft vorstellen, haben sie selbst und andere Organisationen längst Einzelprognosen veröffentlicht. Und in diesem Jahr sind sich bei den Durchschnittszahlen auch noch alle einig. Überraschend kam es daher nicht, als die Konjunkturforscher am Donnerstag vorhersagten, die Wirtschaftsleistung werde in diesem Jahr um 3,5 Prozent zulegen und auch im kommenden auf Wachstumskurs bleiben, wenn auch mit abgeschwächten 2 Prozent.

Überraschender ist schon, dass die Experten praktisch keine Konsequenzen aus den Erfahrungen der letzten beiden Jahre gezogen haben. Ihre Empfehlungen an die Politik sind die gleichen wie vor der Krise: Konsolidierung müsse nun an erster Stelle stehen, das heiße: Sparen.

Die Gemeinschaftschaftsdiagnose, die jährlich zweimal erstellt wird, dient der Bundesregierung als Grundlage für ihre Steuerschätzung. Sie wird alle drei Jahre ausgeschrieben. Derzeit beteiligen sich das Münchner Ifo-Institut, das Kieler IfW, das IW Halle und das RWI in Essen jeweils mit Partnerinstitutionen an der Diagnose.

Getrieben wird die wirtschaftliche Erholung, auch da geht die Gemeinschaftsdiagnose d’accord mit anderen Prognosen, derzeit von fast allen Motoren: Der Export ist nach dem Anziehen der Weltwirtschaft wieder voll dabei, aber auch das Inland trägt vor allem mit Ausrüstungs- und Ersatzinvestitionen der Unternehmen zum Wachstum bei. Die private Nachfrage dagegen wird 2010 noch stagnieren und auch 2011 mit 1,4 Prozent deutlich langsamer zulegen als die Gesamtwirtschaft.

Das Risiko im Ausland sehen die Konjunkturexperten durchaus: Die USA könnten wieder in eine Rezession rutschen, China kämpft mit einer Immobilienblase und versucht, sein Wachstum zu dämpfen, die Vertrauenskrise europäischer Länder wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien dauert an. Damit seien die Exportaussichten wackelig, schreiben die Experten.

Die Probleme im Inland deuten sie sich jedoch schön: Die derzeitige starke Binnennachfrage erklären sie zum Normalfall. Der sei in den letzten Jahren vor allem dadurch verhindert worden, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik an den Ländern ausgerichtet habe, die gegenüber Deutschland noch aufholen mussten. Wichtig sei, dass jetzt nicht nur die Bundesregierung, sondern vor allem die Regierungen der anderen EU-Länder strikt konsolidierten.

Peter Hohlfeld, Konjunkturexperte vom nicht am Gutachten beteiligten Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, hält diese Einschätzung für falsch. Das aktuelle Plus bei der Binnennachfrage sei keineswegs nachhaltig. Hier müsse der Staat noch dranbleiben und auch der private Konsum zunehmen. Das gehe nicht ohne Einkommenssteigerungen: „Der Spielraum von 3,5 Prozent, der sich aus der Produktivitätsentwicklung und der Inflationsrate ergibt, muss ausgenutzt werden“, sagte er der taz.