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Archiv-Artikel

Die Bürgergeldkinder

Grundeinkommen für alle hört sich doch viel besser an als Hartz IV für Bedrängte – vor allem für die „prekäre Generation“. Sie hätte zwar keine Garantie auf einen Job, aber mehr Luft zum Atmen

VON MARTIN REICHERT

Selten verursacht mittlerweile ein politischer Vorschlag spontanes, wohlwollendes Innehalten: Wäre doch gar nicht so schlecht, jene Idee, dass jeder erwachsene Bürger ein staatliches Grundeinkommen in Höhe von 800 Euro erhält. Wer noch 1.000 Euro dazuverdient, zahlt davon die Hälfte Steuern, hat dann nach Abzug von 200 Euro „Gesundheitsprämie“ 1.100 Euro übrig.

Im Prekariat

Da freuen sich nicht nur die Milchmädchen, sondern vor allem all jene, die sich gerade im sogenannten Prekariat befinden: Post-Akademiker, Künstler, Kreative jeglicher Couleur, die sich mehr schlecht als recht irgendwie durchbringen – und für die Hartz IV eigentlich gar nichts bringt, weil es ihnen jegliche Mobilität und Flexibilität raubt. Schon ein unbezahltes Praktikum kann den Anspruch auf Unterstützung zunichte machen.

Die Alternative dazu wäre ein klares, übersichtliches Konzept, das im Gegensatz zu ALG I, ALG II, Kombilohn, Kindergeld, 1-Euro-Jobs, Wohngeld, Sozialrente, Bafög, Heizkostenübernahme und Kühlschrankzuteilung auf einen Bierdeckel passt – und ohne Sachzwänge und Kontrollneurosen Luft lässt, um sich entsprechend seiner Berufswünsche zu verwirklichen oder an den Markt zu bringen. Oder beides.

Ein Praktikum hier, eine Kellner-Stelle dort, ein Auftrag für eine Broschüre oder die Konzeptionierung einer Wohnzimmer-Einrichtung, ein Job im Call-Center und nebenbei noch ein Off-Theaterstück produzieren. 1.000 Euro bekommt man so schon zusammen, besonders mit der Gewissheit im Rücken, dass die Basis-Rechnungen bezahlt werden können.

Hartz IV funktioniert nach der bürgerlich-utilitaristischen Logik „Not macht erfinderisch“ und will den Einzelnen zu seinem Glück zwingen (Not soll erfinderisch machen) – dabei vergessend, dass auch das Gegenteil zutreffend ist. Not kann auch sehr lähmend sein: Wer sich von Existenzangst bedroht sieht, schreibt nicht zwingend einen Bestseller – auch wenn es solche Fälle in der Literaturgeschichte gibt – oder gründet ein Unternehmen.

In der Wirklichkeit liegen die Betroffenen schon mal tagelang bei zugezogenen Vorhängen im Bett, weil Angst und schlechtes Gewissen sogar einen Spaziergang im Park vergällen würden.

Aufwändige, mitunter demütigende Behördengänge mit Nümmerchen ziehen und Stempelchen abholen tun ein Übriges, um das Selbstbewusstsein in Bodennähe zu halten. Wer dann noch in Uniform zum Koffertragen an den Bahnhof geschickt wird, ist am Ende womöglich so schmerzfrei, dass eh schon alles egal ist.

Im Gegenzug handelt es sich bei dem jetzt parteiübergreifend diskutierten, bedingungslosen Grundeinkommen um ein faires Angebot, dass individuelle Spielräume offen lässt – und selbstverständlich dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Das böse Wort von der „Faultierprämie“ frisst sich in schönster Hartz-IV-Manier missgünstig und gestreng in den Diskurs.

Natürlich würde es Menschen geben, die sich auf dieser Prämie ausruhen, mit ihrem Grundeinkommen nicht eigenverantwortlich umgehen können oder nebenbei schwarz Geld dazuverdienen. Doch warum sollte dies in höherem Maße der Fall sein als unter den Bedingungen des bisherigen Systems? Und warum sollte ein faires Angebot nicht im Gegenzug faire Reaktionen hervorbringen?

Die Idee ist fast zu schön, um wahr zu werden. Vorgetragen aus der Ecke der christlichen Soziallehre, für gut befunden von den Liberalen und Grünen, bemäkelt zuvorderst von den Hartz-IV-Erfindern aus den Reihen der Sozialdemokratie ist sie eine Art postideologisches Hybridmodell aus alter linker Forderung nach Grundversorgung und liberaler Vorstellung von Eigeninitiative. Neu, frisch, sexy.

Auf nach Berlin!

Der Ansatz ist auf die Gegenwart zugeschnitten und nicht auf die verwitterte Utopie einer Vollbeschäftigung – wie auf den Leib geschneidert ist er für die Prekären, häufig noch ohne familiären Anhang und auf Flexibilität eingestellt, idealtypisch in Berlin wohnend. Dort lässt es sich aufgrund der im Vergleich niedrigen Lebenshaltungskosten und diverser McJob-Möglichkeiten ganz gut aushalten mit 1.100 Euro. Reicht locker, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, inklusive Latte Macchiato am Nachmittag und Konzertbesuch. Sogar ein Urlaub wäre drin.

Auch in anderen Städten wäre eine Art studentischer Lifestyle gewährleistet – mit der Option einer womöglich besseren Zukunft. Denn wer beständig in freiberuflichen Arbeitszusammenhängen lebt, hat auch eher die Chance, über Kontakte an einen Job zu kommen oder sich anderweitig zu etablieren.

Nach den zermürbenden Hartz-IV-Debatten wirkt dieser Vorschlag wie ein mildes Antidepressivum. Vielleicht wirkt es ja.