: Das Bestseller-Prinzip
DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER
Ich lese keine Bestseller. Eine Freundin schenkt mir immer Bücher, weil sie weiß, dass ich schreibe, und immer schenkt sie Bücher von der Bestsellerliste, weil es besonders gute Bücher sein sollen. Ich habe schon ziemlich viele. Ungelesen.
Aber seit drei Wochen ist alles anders. Da ist mir Sabine Kueglers „Dschungelkind“ in die Hände gefallen. Eigentlich sollte ich es mir nur angucken als Beispiel dafür, wie man Bücher durchillustrieren kann – man kann das nämlich sehr schlecht machen, aber auch sehr gut, wie in Kueglers „Dschungelkind“. War das mal ein Bestseller? Egal, ich begann zu lesen.
Vielleicht lag es daran, dass es einer dieser Tage war, wo man zu müde ist, um noch etwas Vernünftiges zu tun, aber dafür umso aufnahmefähiger. Ich las, wie Kinder lesen und wie Erwachsene oft wünschen, wieder lesen zu können: tief eintauchend in das Buch, also in den Urwald von West-Papua, wo Sabine Kuegler groß geworden ist – bei einem Kannibalenstamm.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so gute Tage mit einem richtigen Bestseller verbringen würde. Deshalb habe ich mich auch gefreut, als mir eine Redakteurin vor zwei Wochen sagte, sie habe da einen Bestseller für mich, das sei ein so großer Bestseller, dass sogar die Presseexemplare schon alle sind. Es war Eva Hermans „Das Eva-Prinzip“. Ich weiß, jeder kennt das schon, auch aus den Talkshows. Leider habe ich auch den Fehler, fast keine Talkshows zu gucken. Aber es passiert so selten, dass andere das gleiche Buch lesen wie ich, darum möchte ich noch einen Augenblick bei ihm bleiben.
Goethe – kein Bestsellerautor, vom „Werther“ abgesehen – wusste, was Frauen lesen: „Immer ist das Mädchen so beschäftigt und reifet im stillen/ häuslicher Tugend entgegen, den klugen Mann zu beglücken./ Wünscht sie dann endlich zu lesen, so wählt sie gewißlich ein Kochbuch.“ Eva Herman ist nicht Goethe, darum formuliert sie die Sache ein wenig anders: „Wenn wir uns zum Frausein bekennen und unserer Weiblichkeit folgen, werden viele Entscheidungen viel einfacher, weil sie vorgezeichnet sind. Die Gestaltung eines Heims, einer Partnerschaft, in der wir an der Seite eines Mannes segensreich wirken können.“
Ich habe dann doch den Schutzumschlag abgemacht. Ich wollte nicht mit diesem Buch in der S-Bahn gesehen werden. Du bist so feige, der Umschlag bleibt dran!, befahl mein Über-Ich und – unterlag. Der Schöpfer, sagt Eva Herman, hat Adam und Eva für verschiedene Aufgaben geschaffen, und solange alle das beachten, leben Mann und Frau und Kind friedlich zusammen. Das klingt schön, aber es ist doch gut, dass Eva Herman nicht mein erster Bestseller war.
In „Dschungelkind“ ist die ursprüngliche Mann-Frau-Kind-Harmonie so beschrieben: „Ein paar Frauen waren aus irgendeinem Grund tiefer in den Urwald gegangen. Einer der Männer rief seiner Frau zu, sie solle zurück zu ihm kommen, doch sie kam nicht sofort. Als sie dann schließlich aus dem dichten Gehölz trat, nahm der Fayu-Krieger seinen Bogen, und obwohl die Distanz noch enorm war, zielte er direkt auf ihre Brust.“ Die Frau brach stöhnend zusammen, und Sabine Kuegler, das Dschungelkind, hätte den Mann umbringen wollen: „Denn, wie jeder sehen konnte, war die Frau hochschwanger.“ Der Mann aber stand und lachte. „Wir können davon ausgehen“, sagt Eva Herman, „dass der Schöpfer einen überaus sinnvollen Plan hatte, als er nahezu der gesamten Natur das Prinzip der Zweigeschlechtlichkeit verpasste.“ Der Herr hat sich etwas dabei gedacht, schon möglich. Bloß was?
So etwas wie Liebe zwischen Mann und Frau, beobachtete die kleine Sabine im Dschungel, gab es nicht bei den Fayu. Erst durch das Beispiel der weißen Familie, die mit ihnen lebte, begannen die Männer allmählich das tun, was ihnen eigentlich lächerlich erschien: ihre Frauen zu achten. Und die Kinder? „Wir bemerkten schnell, dass Fayu-Kinder nicht nur ängstlich waren, sondern auch gar keine Spiele kannten.“
Eva Hermans Kronzeuge für die Wiedereinführung des „Eva-Prinzips“ ist die Urgeschichte. Findet die Urfrau, die Urmutter in euch selbst!, ruft sie uns zu. Wollen wir uns gleich rufen lassen oder erst noch ein bisschen Urgeschichte treiben? Mann und Frau, sagt die Expertin für Gottes Gedanken bei der Schöpfung, sind nicht gleich und „wurden daher für verschiedene Aufgaben geschaffen. Eigentlich müsste das eine Binsenwahrheit sein.“
Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, fragt Eva Herman, warum wir Frauen „so gern Handtaschen mit uns herumschleppen? Und zwar keine winzigen Etuis, sondern am liebsten geräumige Beutel? Auch dies ist ein Erbe der geschlechtsbedingten Evolution: Da Eva gern sammelt, muss sie immer die Möglichkeit haben, ihre Ernte zu verstauen, um sie sicher nach Hause zu tragen. Männer dagegen horten nicht, sie beschweren sich ungern mit Einkaufsnetzen und Taschen, weil sie unbewusst verteidigungsbereit sein wollen.“
Aber dann müssten wir unsere Handtaschen doch auf dem Kopf tragen! Fast überall trugen die Frauen Lasten auf dem Kopf. Und der eigentliche Geschlechts-Unterschied besteht nicht darin, dass der Mann die Lasten auf den Schultern trägt. Der bedeutende Anthropologe Malinowski erklärt das beim Südseevolk der Tobrianden so: „Eine Last auf die Art zu tragen, die dem anderen Geschlecht zukommt, würde jedes Individuum mit wahrem Entsetzen und tiefer Beschämung erfüllen. Nichts könnte einen Mann dazu bringen, eine Last auf den Kopf zu nehmen, sei es auch nur zum Spaß.“ Ansonsten trägt der Tobriander schon alle schwereren Lasten.
Das Prinzip der Gleichheit ist Humbug, sagt Eva Herman, und nur weil wir Frauen nicht einsehen wollen, dass Männer noch nie Einkäufe getragen und sich um ihren Nachwuchs gekümmert haben, wir aber trotzdem immer an ihnen herumerziehen, haben wir jetzt keine Kinder mehr und kaputte Ehen. Also, ich weiß nicht. Bei dem Steinzeitvolk der Tobriander ist doch eigentlich alles genau wie bei uns: Die Frau kommandiert den Mann herum, wenn sie seine Hilfe braucht. Nur sind die Männer dort schon ein bisschen weiter: „Den Säugling in den Armen zu tragen oder auf Knien zu halten (kopo’i), ist“ – laut Malinowski – „die besondere Aufgabe und Pflicht des Vaters.“ Darum nennen die Tobriander Babys, die ohne Vater aufwachsen, „unglückliche Babys“, weil niemand da sei, um sie zu pflegen und zu liebkosen (gala taytala bikopo’i).
Sagen wir es so: Vielleicht ist Eva Herman kein Genie. Sie sagt nur, was der große Frauenforscher Otto Weininger schon vor über einhundert Jahren wusste, nämlich „ … daß das echte Weib mit der Emanzipation des Weibes nichts zu schaffen hat.“ Weininger erkannte sogar, warum, denn: „was die emanzipierten Frauen anlangt: Nur der Mann in ihnen ist es, der sich emanzipieren will.“
Gespenstisch! Genau das sagt Eva auch. Nur: Weininger findet das gut, Herman nicht. Sie weiß ja nicht einmal, dass jeder Mensch eine Mischung ist aus Männlichem und Weiblichem. Otto Weininger hat Eva Herman vorausgeahnt: „Die letzte Gegnerin der Frauenemanzipation ist die Frau.“ Ach Eva. Als er mit seinem Buch „Geschlecht und Charakter“ fertig war, hat sich Otto Weininger in Beethovens Sterbehaus erschossen. Und ich lese bald wieder ein Buch, das nicht auf der Bestsellerliste steht.