portrait: Die Spielplan-Verderberin
Wer eines der Theater an der Seine besucht, weiß, dass zumindest seine Handtasche durchwühlt wird. Kontrollen, die das Mitführen von gefährlichen Gegenständen unterbinden sollen, sind seit Jahren selbstverständlich. Und wirksam: Über gewaltsame Störungen von Veranstaltungen ist nichts bekannt.
Kirsten Harms reiste im Juni 2004 als designierte Intendantin der Deutschen Oper Berlin nach Paris. Als sie im leichten weißen Kleid über die Treppen des Palais Garnier schwebte, erkundigte sich der dort aus dem Amt scheidende Generaldirektor Hugues Gall, wer denn dies Engelchen sei (Voilà, es sieht so deutsch aus), und ließ sie zur Party bitten, was sie zu Hause als triumphalen diplomatischen Erfolg feierte. Am darauf folgenden Morgen fragte er, da er sich für den Fortgang der Berliner Opern-Affären interessierte, ob es Dummheit oder Ranküne gewesen sei, diese Person mit der Leitung eines großen Theaters zu betrauen.
Immerhin hatte sie kurz zuvor schon einmal an der Deutschen Oper inszeniert und die „Semiramide“ von Rossini in den Sand gesetzt. Bestenfalls wurde, was die Regisseurin bot, als dekorativer Kauderwelsch hingenommen. Dennoch wurde ihr Amtsantritt von der Berliner Presse freundlich begrüßt. Sie könne „ökonomisch denken“, freute sich die Berliner Zeitung, da Harms in Kiel ein Low-Budget-Theater achtbar über die Runden gebracht hatte. Dann wurde es still um sie.
Doch nun sorgt Kirsten Harms für einen Paukenschlag. Da es aufgrund von Gefährdungsanalysen möglich sei, dass bei Aufführungen wie der „Idomeneo“-Inszenierung von Hans Neuenfels „Störungen nicht auszuschließen“ seien, wurde die für November angekündigte Wiederaufnahme dieser Mozart-Oper aus dem Spielplan genommen. Zur Erinnerung: Die Neuenfels-Inszenierung zeigt nicht nur den von Mozart mit Musik bedachten Meeresgott Poseidon, sondern gesellt ihm noch ein Weltreligions-Trio zu: Buddha, Jesus und Mohammed. Dieser muss nun als Grund für die „Gefahrenlage“ und die Auswechslung des „Idomeneo“ mit „Figaros Hochzeit“ beziehungsweise „La Traviata“ herhalten.
Keinesfalls zufällig aber fällt die Bühnenarbeit von Neuenfels genau unter die Rubrik, die Kirsten Harms nicht in ihrem Programm haben will: Sie gehört zu dem, was die Intendantin „selbstverliebte Fantasien“ nennt. Es wird nun zu klären sein: Löste die angebliche „Gefahrenlage“ die Absetzung aus? Oder gab der Sicherheitshinweis nur eine nachgeschobene „Begründung“ für die womöglich schon zuvor beschlossene Reaktivierung von „Le Nozze di Figaro“ und „La Traviata“?
FRIEDER REINIGHAUS
brennpunkt SEITE 3
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