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Archiv-Artikel

Azubis immer billiger

Die Landesregierung will neue Ausbildungsplätze in Betrieben fördern. Gewerkschaftsvertreter, SPD und Grüne fürchten, dass das neue Modell im nächsten Jahr reguläre Lehrstellen verdrängt

VON DIRK ECKERT

Es sollte der große Wurf werden, die spektakuläre Kehrtwende. Von einem „Notprogramm“ war schon vorher in der Presse zu lesen. Doch seit bekannt ist, wie die Landesregierung zusätzliche Lehrstellen schaffen will, macht sich Enttäuschung breit. SPD und Grünen geht es nicht weit genug, Unternehmen nur finanzielle Anreize zu bieten, damit sie Azubis einstellen.

Als „nicht ausgereift und auf kurzzeitigen Populismus ausgerichtet“ kritisierte Rainer Schmeltzer, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, das neue Lehrstellenprogramm. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hatte es am Mittwoch Abend nach Gesprächen mit Vertretern von Industrie, Handwerk und Gewerkschaften vorgestellt. Die Grünen fürchten, dass damit bestenfalls die zahlreichen anderen Programme verdrängt werden, mit denen Jugendliche jetzt schon in Ausbildung gebracht werden sollen. „Das könnte ein Nullsummenspiel werden“, sagte Barbara Steffens, die arbeitspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag.

Wie viele neue Lehrstellen durch das Programm tatsächlich entstehen, hängt jetzt ganz von den Unternehmen ab. Das Land bietet ihnen an, die Kosten von 7.000 bis 10.000 Euro pro Jahr und Azubi zu übernehmen. Begrenzt ist das Programm nicht: Es werden so viele Lehrstellen finanziert, wie die Firmen wollen.

Die Unternehmen müssen sich lediglich verpflichten, den Jugendlichen Praktika im Betrieb zu ermöglichen: im ersten Jahr für drei Monate, im zweiten für vier und im dritten für sechs. Die Lehrverträge werden nach dem neuen Modell mit lokalen Trägern wie der Kreishandwerkerschaft gemacht, die Azubis bekommen 450 Euro brutto, was 300 Euro netto entspricht. Am Ende der Ausbildung soll eine reguläre Kammerabschlussprüfung stehen.

Das Programm startet am 1. November. Die Landesregierung will damit vor allem diejenigen erreichen, die schon seit Jahren „in der Warteschleife“ sind, also wiederholt keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Sie sollen auf diese Weise zu einem Abschluss kommen. Vertreter von Industrie, Handwerk und Gewerkschaften haben ihre Unterstützung zugesagt. Der NRW-Regionalchef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Guntram Schneider, würdigte das Programm als „Etappensieg“. „Die Landesregierung stellt sich ernsthaft den Problemen“, lobte er.

Inzwischen gibt es aber auch skeptische Töne auf Gewerkschaftsseite. Befürchtet wird insbesondere, dass Unternehmen künftig lieber die neuen Gratis-Praktikanten einstellen als Auszubildende. „Wir werden sehr genau hinschauen, dass dadurch keine vorhandenen Ausbildungsplätze verdrängt werden“, kündigte Eberhard Weber, der DGB-Vorsitzende Östliches Ruhrgebiet, an.

Wirtschaftsvertreter und Landesregierung sehen keine Gefahr, dass Auszubildende durch Teilzeit-Praktikanten ersetzt werden. „Da hat der Unternehmer keine Vorteile von“, ist sich Arbeitgeberpräsident Horst-Werner Maier-Hunke sicher. Unternehmen würden sich ihre Auszubildenden schon ein Jahr im Voraus aussuchen, um die besten zu bekommen. Das neue Programm sei nur eine Ergänzung zur normalen Ausbildung.

Die Oppositionsparteien schenken solchen Beteuerungen wenig Glauben. Von einem „falschen Signal“ spricht Barbara Steffens. Unternehmen würden sich nun zwei Mal überlegen, ob sie sich für das nächste Jahr Auszubildende suchen oder lieber subventionierte Praktikanten nehmen. „Natürlich wird damit regulären Ausbildungsplätzen Konkurrenz gemacht.“ Auch Rainer Schmeltzer warnt vor Mitnahmeeffekten. „Es besteht die Gefahr, dass nur noch Praktikantenplätze angeboten werden.“