Schutz vor Schnüfflern
Die neue zentrale Schülerdatei erfasst auch den Aufenthaltsstatus der Kinder. Jetzt fordern Prominente Hamburgs Schulleiter in einem Appell auf, illegale Kinder nicht der Behörde zu melden
VON KAIJA KUTTER
Im Fall des neuen Zentralen Schülerregisters (ZSR) hat sich eine gute Absicht ins Gegenteil verkehrt. Die neue digitale Datei sollte verhindern, dass Kinder wie die im März 2005 grausam verhungerte Jessica unbemerkt von der Schule fernbleiben. Doch wie die taz bereits im Juni berichtete, hat im Rahmen des innerbehördlichen Abstimmungsprozesses die Hamburger Innenbehörde durchgesetzt, dass auch der „aufenthaltsrechtliche Status“ der Kinder erfasst wird und die Ausländerbehörde direkten Zugriff darauf hat.
Hamburgs Schulleiter sollen nun bis Ende September die Daten aller 220.000 Schüler liefern. Ein Gruppe von Prominenten hat jetzt einen Appell an die SchulleiterInnen gestartet, dies nicht zu tun.
„Wir befürchten nun, dass Eltern, die ohne Aufenthaltsstatus in Hamburg leben, ihre Kinder aus Furcht vor Abschiebung der gesamten Familie nicht mehr in die Schule schicken“, heißt es in dem Schreiben, das gestern an alle Schulen ging. Das im Hamburger Schulgesetz verankerte „Recht auf Bildung“ werde dadurch „faktisch ausgehebelt“.
Für die Schulleiter könne es deshalb zu einer „Pflichtenkollision“ kommen, die sich aus der Pflicht zur Datenweitergabe und der Gewährung des Rechts auf Schulbesuch ergebe. In einem solchen Fall möchten die Prominenten die Schulleiter bestärken, „sich für das Recht der Kinder auf Bildung und Schulbesuch zu entscheiden“, heißt es in dem Brief.
Die Sache ist heikel. Als Lösungen bleibt den Schulleitungen hier nur, ein Kind gar nicht der Behörde zu melden und in Kauf zu nehmen, dass es deshalb auch weniger Lehrerstunden für die anderen Schüler gibt.
Zu den Unterstützern des Aufrufs gehört auch Anne Harms von der kirchlichen Beratungsstelle „Fluchtpunkt“. „Wir wurden bereits von zwei Schulen angesprochen, weil dort Kinder ohne Aufenthaltsstatus beschult werden“, berichtet sie. Wenn die Schulbehörde keinen Weg fände, den Zugriff der Ausländerbehörde zu vermeiden, würden bereits eingeschulte Kinder „quasi der Abschiebung ausgeliefert“.
Aus der „Jessica-Datei“ drohe somit eine „Yesim-Datei“ zu werden, sagt Harms in Anspielung auf den Fall einer 13-jährigen Schülerin aus St. Pauli, die trotz ihres illegalen Status eine normale Schullaufbahn einschlagen konnte und Dank einer Kontrolllücke nicht aufgefallen war.
Fluchtpunkt als Beratungsstelle, warnt Harms, sei gezwungen, andere Beratungsstellen und Anwälte über das neue ZSR-Verfahren zu informieren. „Sobald wir diese Information herausgegeben haben, werden allerdings viele Kinder in Hamburg nicht mehr zur Schule geschickt werden“, fürchtet sie. Das offizielle Ziel der Datei werde verfehlt, da nicht mehr, sondern weniger Kinder die Schule besuchen.
Die Unterzeichner des Appells fordern Senat und Bürgerschaft auf, ein „Moratorium“ einzurichten und innerhalb der gesetzlichen Regelungen für einen „Schutzmechanismus“ zu sorgen. So schloss sich beispielsweise die Stadt Freiburg der Rechtsauffassung an, das der „ausländerrechtliche Status“ für den Schulbesuch unerheblich ist und keine entsprechenden Daten erfasst werden müssen.
Der CDU-Schulpolitiker Robert Heinemann hält davon nichts. „Augen zu ist die falsche Politik“, sagt er zur taz. Seines Wissens seien die Schulleiter schon bisher verpflichtet, den Aufenthaltsstatus der Schüler festzustellen. „Ich gehen davon aus, dass die Beamten ihren Job gemacht haben“. Wenn sich nun herausstelle, dass dies nicht immer der Fall war, müsse man sich „die Sache angucken“. Heinemann: „Für die Kinder ist es besser, den Fall zu lösen. Das heißt, sie bekommen entweder einen sicheren Aufenthaltsstatus oder gehen zurück ins Heimatland“.