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Archiv-Artikel

Gib dem Käufer Zucker!

Die Stadt lockt, auch wenn keine Kaufkraft da ist. Warum es internationale Galeristen noch immer nach Berlin zieht. Besuch bei drei Neuankömmlingen aus der Ukraine, den USA und Venezuela

von HENRIKE THOMSEN

Berlin wird in der internationalen Galeristenszene immer wichtiger. Derzeit gibt es hier rund 400 Galerien; sie vermitteln das Werk von mehr als 4.000 Künstlern. Tendenz: steigend. Im Schnitt eröffnen nach Angaben der Kunstmesse Art Forum im Monat zehn neue Schauräume – viele klein und kurzlebig, aber darunter sind zunehmend auch Filialen von renommierten Galerien im In- und Ausland.

Schon im Jahr 2003 hatte der Landesverband Berliner Galerien die Stadt zum „quantitativ führenden Galerienstandort in Europa“ erklärt. Damals gab es rund 280 Galerien, die etwa eine Million Interessenten im Jahr besuchten, die Hälfte kam von auswärts. Dennoch betrug der Jahresumsatz der hiesigen Galerien weniger als die Hälfte des Bundesdurchschnitts der Kunsthändler. Diese liegen ohnehin nur bei einem Weltmarktanteil von etwa 3 Prozent, weit hinter den USA (über 50 Prozent) und Großbritannien (zirka 25 Prozent). „Arm, aber sexy“ bleibt das viel strapazierte, dennoch zutreffende Motto für Berlin als Standort für den Kunstmarkt.

Bereznitsky, Goff + Rosenthal und Arratiabeer gehören zu den internationalen Galeristen, die ein neues Standbein in der Stadt aufbauen. Bereznitsky aus Kiew eröffnet am Samstag in der Linienstraße mit Gemälden von Illya Chichkan und Fotos von Boris Mikhailov. Man erhofft sich von dem neuen Standort in Berlin-Mitte den Sprung in den internationalen Kunstmarkt. „Ich mache mir keine Illusionen über die Kaufkraft. Aber was zählt, ist die intellektuelle Wertschätzung, die man hier erfährt. Auch potenzielle Käufer lassen sich davon beeinflussen“, sagt Lyudmila Bereznitska. In der Ukraine betreibt sie seit fünfzehn Jahren eine der damals ersten Galerien für zeitgenössische Kunst. Dennoch sind bis heute dort selbst Stars wie der Fotograf Mikhailov kaum bekannt: Seine Karriere machte er im Exil, unter anderem mit Hilfe des DAAD-Stipendienprogramms in Berlin.

Lyudmila Bereznitska möchte ihre Kontakte erweitern, weiteren ukrainischen Künstlern den Weg bahnen – und für eine mögliche künftige EU-Mitgliedschaft der Ukraine vorsorgen. „Ich möchte zeigen, dass es viele Brücken zwischen uns und Europa gibt“, sagt sie.

Die neue Berliner Filiale von Goff + Rosenthal liegt an der lärmenden, staubigen Brunnenstraße zwischen einem Beate-Uhse-Shop und einem Falafel-Restaurant. In den Räumen gab es bis vor kurzem einem vietnamesischen Kramladen. Die neuen Mieter aus New York sind begeistert. „Auf meinem Nachttisch liegt Alfred Döblins ‚Berlin-Alexanderplatz‘. Die Atmosphäre ist genau so, wie er sie schildert“, sagt Robert Goff. Er und sein Kollege Cassie Rosenthal kommen mit zahlreichen deutschen Künstlern im Gepäck nach Berlin. Ebenfalls ab Samstag wollen sie vor allem Bilder der jungen deutschen Maler und Grafiker Abetz/Drescher, Christoph Schmidberger und Susanne Kühn zeigen. Berlin sehen die Galeristen als Chance, solche vielversprechenden Newcomer besser zu vermarkten.

Laut einer Marktstudie für den Kunstherbst Berlin 2004, der jährlichen Atelierschau der Berliner Galerien, ist die Stadt tatsächlich ein Einsteigemarkt für junge Nachwuchskäufer; Werke von jüngeren Künstlern verkaufen sich hier sogar besser als die von etablierten. „Viele Künstler zeigen Interesse, in Berlin ausgestellt zu werden. Und wenn sie in New York schon einen festen Galeristen haben, können wir sie hier erfolgreich vertreten“, erklärt Goff. Die Käufer würden schon folgen: Die seien international mobil. „Viele waren schon in Berlin und nicht nur einmal.“

Dass man als Händler in der Stadt nicht zuletzt von dem Ruf der deutschen Kunstszene profitiert, ist ein weiterer wichtiger Faktor. Goff + Rosenthal führte einer ihrer ersten Trips in die Studios von Leipzig, Lyudmilla Bereznitska erwähnt den Malerstar der Leipziger Schule, Neo Rauch. Euridice Arratia hat das Werk von dem bekannten Installationskünstler Via Lewandowsky schätzen gelernt, als sie als freie Kuratorin in New York und Mailand arbeitete. Seit März betreibt die gebürtige Venezolanerin zusammen mit Elizabeth Beer ihre erste eigene Galerie in den S-Bahn-Bögen in der Holzmarktstraße. „Es ist natürlich ein Klischee, aber in Berlin kann man mehr riskieren, weil der kommerzielle Erfolgsdruck nicht so hoch ist“, sagt sie. Zudem sei die Kunstszene hier gut vernetzt.

Die aktuelle Ausstellung ist auch so etwas wie eine Hommage an die inspirierende neue Umgebung: Ein riesiges kunstvolles Geflecht aus Ästen, die die US-Künstler D-L Alvarez und Matthew Lutz-Kinoy bei Ausflügen in den Spreewald gesammelt haben, erinnert an ein Wigwam. Die Skulptur aus Plastikflaschen voller Keramikeinsätze und Steinen sieht aus wie ein typisches Berliner Flickwerk.