DIE ACHSE DER COMPILATIONS – TOBIAS RAPP
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Schwarzer Jailhouse-Rock

Schön ist es nicht. Doch möchte man „In Prison – Afroamerican Prison Music From Blues To Hiphop“ hören, sollte man sich besser von der politisch und moralisch einzig richtigen Perspektive lösen – der Empörung über ein System nämlich, das mehr Menschen wegsperrt als jedes andere Land der Welt: zwei Millionen Menschen leben in den USA im Knast. Jeder achte Afroamerikaner zwischen 20 und 35 sitzt in einer Zelle.

Das Faszinierende (und Mitreißende) an dieser Platte ist jedoch nicht die Empörung, die sich unweigerlich auch einstellt: Es ist die Produktivität, mit der sich die afroamerikanische Community seit jeher mit dem Umstand auseinander setzt, dass das Gefängnis Bestandteil der Black Experience ist – ohne das „playing the dozens“, den Reimzeitvertreib der Gefangenen, gäbe es etwa gar keinen Hiphop.

Diese Produktivität geht nicht nur quer durch die Zeiten und Stile, vom Blues eines Robert Pete Williams über den Jazz Nina Simones, den Soul der Temptations bis zu den diversen Hiphop-Gruppen. Es sind auch die vielen Genres, in die sich der Gefängnissong auffächert: der Rückfallsong „Fred McDonnel: „I’m in Jail Again“), die Warnung (Lifers Group: „Living Proof“), Knast als politische Schule (Dead Prez: „Behind Enemy Lines“), das Todeszellenstück (Tupac: „On Death Row“). Toll und erschütternd.

„In Prison“ (Trikont)

Nahe am Bass gebaut

Ein eigenartiger Sehnsuchtsort, dieses Istanbul. Berlin gar nicht so unähnlich mit seinem Versprechen, hier treffe Ost und West aufeinander bei gleichzeitigem Bestehen darauf, die Entwicklungen der letzten Jahre habe eine soziale Dynamik losgetreten, die sich nicht zuletzt in aufregender kultureller Produktion niederschlage. Und wie in Berlin ist es vor allem die Musik, in der sich dies zeigen soll.

Wenn man einmal dort ist, stellt man fest: so riesig ist die Szene gar nicht. Und einige der Bands, die auf der Compilation „Beyond Istanbul“ präsentiert werden, die die Berliner DJ Ipek zusammengestellt worden ist, finden sich auch in Fatih Akins Istanbul-Film „Crossing The Bridge“.

Was nichts an der aufregenden Musik ändert: So breit gefächert die Stile sind – von Night Sessions „La Mirage“, das klingt wie ein 50-Cent-Instrumental, auf das man orientalischen Gesang gepackt hat bis zu dem durchgedrehten Ska der Brooklyn Funk Essentials – die Nähe zu einer bestimmten Basskultur ist fast allen Stücken gemeinsam. Sei es in der Downtempo-Spielart eines Künstlers wie Çay Taylan, im Hiphop von Ceza oder im Dancehall wie bei Ayan Sicimoglu. Vielleicht lässt sich durch diese Dub-Orientierung der Raum für die Gesangslinien schaffen, den signature sounds, die diese Musik als oriental kennzeichnen.

„Beyond Istanbul“ (Trikont)

Auf des toten Manns Kiste

In den Neunzigern war es eine Idee, die in der Jazzszene hoch im Kurs stand: das Konzept der „imaginären Folklore“. In Frankreich war es rund um den Klarinettisten Louis Sclavis beliebt, am ausführlichsten wurde es von John Zorn und seinen zahllosen Masada-Platten durch buchstabiert, die eine neue jüdische Musik herbei imaginierten.

Nun ist es im Rock angekommen. Und obwohl so grässliche Gestalten wie Sting oder Bono bei „Rogue’s Gallery“ dabei sind, einer Doppel-CD voller Seemannslieder-Bearbeitungen, muss man feststellen: Es funktioniert. Vielleicht weil die Kleinkriminellen-Faszination und Underdog-Perspektive, die sich durch fast alle Stücke zieht, eben recht nah an der Rock-’n’-Roll-Perspektive auf das Leben ist. Entstanden ist die Compilation im Windschatten von „Pirates of the Carribbean 2“, der Produzent Hal Willner ist verantwortlich. Zusammen mit so illustren Leuten wie Bryan Ferry, Nick Cave, Van Dyke Parks und Lou Reed.

Das hat seine schönen Seiten, wenn die „Cape Cod Girls“ oder die „Baltimore Whores“ besungen, die Kapitäne beschimpft und sonst wie Aspekte das Matrosenleben problematisiert werden. Ansonsten leidet die Platte genau wie der Manufactum-Katalog unter der Fetischisierung einer Zeit, als Handwerk noch etwas galt. Containerschiffe sind nicht schlecht, weil man gegen sie nicht ansingen mag!

„Rogue’s Gallery“ (Anti)