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Archiv-Artikel

Musik nur scheinbar parteikonform

Am 25. September wäre Dmitri Schostakowitsch 100 Jahre alt geworden. Gleich drei Städte in Nordrhein-Westfalen widmen dem russischen Komponisten programmatische Schwerpunkte mit mehreren Konzerten

Noch ein Gedenkdatum für die Musikwelt: Neben Mozart- und Schumann-Jahr ist 2006 auch Schostakowitsch-Jahr. Nachdem das Mozart-Jahr mit der Absetzung der Berliner „Idomeneo“-Inszenierung von Hans Neuenfels nach all den klebrigen Feierstunden doch noch eine überraschende Wendung in die Tagesaktualität nahm, trägt auch die Beschäftigung mit dem Russen die Frage nach der Freiheit der Kunst in ihrem heißen Kern. Dmitri Schostakowitsch wäre am 25. September 100 Jahre alt geworden. Die Gedenkreden und -artikel anlässlich dieses Datums schlagen keinen Jubelton an, sie sind im Gegenteil Fragezeichen und Versuche, einer der widersprüchlichsten Musikerpersönlichkeiten des letzten Jahrhunderts auf die Spur zu kommen.

Schostakowitschs Leben war ein Katz- und Mausspiel mit der sowjetischen Staatsmacht, seine Begabung fiel früh auf, und wurde von den Musik-Funktionären abwechselnd hochgejubelt und reglementiert. Die unmittelbar drohende Lebensgefahr vor Augen, machte Schostakowitsch Zugeständnisse, beugte sich Stalins künstlerischen Anweisungen, komponierte und schrieb – scheinbar? – parteikonform. Auf Parteibefehl geißelte Schostakowitsch die Zwölftontechnik öffentlich als Irrweg, verwendete sie als Komponist aber selbst. Die Funktionäre hörten es eh‘ nicht. Die Diskussion über das Spannungsfeld zwischen Opportunismus und innerer Emigration hält an, und das Werk des Vielschreibers harrt noch der tieferen Erschließung. Auch das mag ein Grund für die landesweite Konzertreihe gewesen sein, die am 1. September in Bonn begann und in lockerer Folge mit insgesamt 25 Konzerten noch bis Dezember fortgesetzt wird.

Im Zentrum standen am vergangenen Wochenende vier Konzerte in der Düsseldorfer Tonhalle, die unter der künstlerischen Leitung des litauischen Cellisten und Schostakowitsch-Schülers David Geringas standen. Geringas hat eine Reihe hochkarätiger Musiker und Ensembles eingeladen und mit dem Autoren Krzysztof Meyer eine Kapazität der Schostakowitsch-Forschung. Musikalisch standen Kammermusik und das Spätwerk auf dem Programm, aber auch eine Rarität aus des Komponisten Schublade. Der „Antiformalistische Rajok“ ist eine beißende Satire in Form einer szenischen Kantate, in der Stalin und seine Musikfunktionäre und der befohlene „sowjetische Realismus“ böse vorgeführt werden. Der „Rajok“ wurde erst 1989 (!) uraufgeführt.

In der Einführung vor dem ersten Düsseldorfer Konzert beleuchtete David Geringas eine weitere Seite der Persönlichkeit des sperrigen Komponisten: seine herausragende Rolle als Lehrer und musikalische Vaterfigur in der damaligen UdSSR, die eine ganze Generation von Musikern prägte. Neben drei „klassischen“ Konzerten gab es in Düsseldorf auch ein Experiment mit jungem Publikum; im Familienkonzert ließ der Choreograf Othello Johns die Kinder seiner „kabawil“-Truppe mit HipHop- und Streetdance-Elementen Schostakowitschs „Puppentänze“ gestalten. Fazit: Die Widersprüche bleiben, die Musik muss in ihrer Gänze noch entdeckt und verstanden werden. REGINE MÜLLER

Programm: www.nrw-kultur.de