: Zwischen Kunstkino und Tortilla-Thriller
Das 4. Lateinamerika Festival „Cine Mexicano“ findet vom 6. bis 13. Oktober in Bremen statt
Das mexikanische Kino hat zwar in den letzten Jahren auf internationalen Festivals mit Filmen wie „Amores Perros“ und „Y tu mamá tambien“ Aufsehen erregt, aber mit durchschnittlich gerade einmal 38 Produktionen in den Jahren 2004 und 2005 gehört es nicht gerade zu den hoffnungsvoll aufstrebenden Unterhaltungsindustrien, die versuchen, Hollywood die Stirn zu bieten. Doch die Bandbreite ist bei diesen vergleichsweise wenigen Filmen erstaunlich groß, und so macht es Sinn, bei dem 4. Lateinamerika Filmfestival in Bremen Mexiko als Länderschwerpunkt zu setzten. Als die beiden Extreme kann man dabei die Spielfilme „Batalla en el cielo“ von Carlos Reygadas und „Matando Cabos“ von Alejamdro Lozano ausmachen, denn der eine bietet kompromisslose Filmkunst und der andere hoch kommerzielle Unterhaltung. Reygadas’ Film sorgte 2004 beim Filmfestival von Cannes für einen kleinen Skandal und wird unter dem Titel „Battle in Heaven“ von der nächsten Woche an auch im regulären Programm eines der Bremer Programmkinos laufen. Für Aufregung sorgte der Film durch einige freizügige Sexszenen, in den etwa eine attraktive junge Frau einen unansehnlichen Mann mittleren Alters oral befriedigt oder dieser später mit seiner übergewichtigen Frau schläft. Das wirklich Verstörende an diesem Film besteht aber daran, dass er so absolut ohne jeden positiven Impuls ist. „Die Welt ist hässlich, und in ihr leben hässliche Menschen, die hässliche Dinge tun!“ ist die Botschaft, die Reygadas mit jeder Einstellung herausschreit. Alejandro Lozano ist dagegen offensichtlich ein Epigone von Robert Rodriguez. Dieser Wahlverwandte von Quentin Tarantino ist zwar in Austin/Texas geboren, aber dennoch ein waschechter Mexikaner, der seinen Debütfilm „El Mariachi“ nicht umsonst in Spanisch drehte. Und sein internationaler Erfolg mit Kinohits, in denen sehr spielerisch mit Gewalt und Machismo umgegangen wird, hat einige junge mexikanische Regisseure beflügelt, sodass man fast schon von dem Subgenre der „Tortilla-Thriller“ reden kann. „Mantando Cabos“ ist eine makabere Komödie, in der gleich zwei Gangsterpärchen den gleichen Fabrikboss entführen wollen. Durch allerhand abenteuerliche Verwechslungen gibt es tatsächlich zwei Entführte und alles, was schief gehen kann geht schief. Gewalt soll hier komisch wirken. Ständig werden Körper in Mülltüten herumgetragen und Körperteile weggeschossen. Man braucht ein sonniges Gemüt und einen besonderen Sinn für Humor, um dies zu mögen, aber der Film ist in seinem Heimatland ein Publikumserfolg und ist das Werk eines vielleicht zynischen, ganz sicher aber talentierten Filmemachers.
Zu den fünf weiteren mexikanischen Spielfilmen des Festivals, die neben einem Kurzfilmprogramm in der Schauburg und dem Atlantis gezeigt werden, zählt auch der melancholische „Noticias Lejanas“ von Ricardo Benet, der vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes erzählt, der aus seinem entlegenen Dorf nach Mexiko City reist, und dabei sexuellen Frust, Arbeitslosigkeit und die Auflösung der moralischen Werte erlebt. Eine schöne kleine Entdeckung ist auch der Dokumentarfilm „To The Other Side“ von Natalia Almada, der eine überraschende Einsicht in die geschlossenen Gesellschaft der mexikanischen Drogenschmuggler bietet. Diese haben nämlich, wie alle Reichen und Mächtigen das Bedürfnis, sich durch Kunst feiern und verewigen zu lassen. Sie lassen ihre Portraits allerdings nicht malen sondern singen, denn die vorherrschende populäre Kunstform von Nordmexiko sind die „Corridos“: mit dem amerikanischen Rap verwandte Lieder, die man beim Musiker maßgeschneidert auf die eigene Person komponieren und dann singen lassen kann. Der Film erzählt nun von einigen diesen auch von dem Armen verehrten Troubadouren der mexikanischen Drogenkartells, die auf beiden Seiten der Grenze ihre Erfolge feiern und dabei ein sehr gefährliches Leben führen. Durch diesen Film wird einem plötzlich klar, dass bisher nur die US-amerikanischen Bilder, Geschichten und Urteile von diesem Drogenkrieg gezeigt wurde. Hier sieht man nun einmal die Kehrseite des Dollars. Wilfried Hippen