YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTEN : Wind in einer maroden Stadt
Der Sturm „Paula“ legte in Havanna das öffentliche Leben für 24 Stunden lahm. Statt Unwetterwarnungen brachten die Nachrichten den vierten Teil eines Castro-Essays
Alle hatten wir an diesem Tag geglaubt, ein Regenschirm würde ausreichen. Aber dann ließ der sich vor Wind kaum öffnen. Ich traute mich nicht durch einen Tunnel zurück ins Zentrum von Havanna, weil es aussah, als würde er gleich mit Wasser volllaufen und die Stadt in zwei teilen. Die Böen des Tropensturms „Paula“ rissen Äste ab, sie brachten 22 Häuser zum Einsturz und kappten die Stromversorgung. Kuba ist an Hurrikans gewöhnt. Trotzdem legte das Wetterphänomen mit dem Frauennamen das öffentliche Leben für über 24 Stunden lahm.
Als „Paula“ auf die Insel traf, fluchten die Menschen über das Meteorologische Institut. Viele von uns erwischte der Sturm mitten auf der Straße, in der Schule oder bei der Arbeit, weil uns die Behörden zu keinem Zeitpunkt aufgefordert hatten, unsere Tätigkeiten zu unterbrechen.
„Paula“ war nicht bloß ein Wirbelsturm. „Paula“ war der Beweis, dass die Behörden vermeiden wollen, unserem ohnehin schon angespannten Alltag auch nur die kleinste Prise Unbehagen hinzuzufügen. Unter anderen Umständen wären wir bis zum Umfallen aufgefordert worden, Fenster abzudichten, regelmäßig Nachrichten zu hören und uns für etwaige Stromausfälle mit Kerzen oder Batterien zu wappnen. Diesmal jedoch schwiegen die Offiziellen. Ein Schweigen, das teuer zu stehen kam: Heute ist das Misstrauen der Menschen noch größer geworden. Vielen wurde klar, dass ein großer Teil der maroden Gebäude dieser Stadt einen richtigen Hurrikan nicht mehr überstehen würde.
Die Nachrichtensendungen am Vorabend jenes Donnerstags widmeten sich eine halbe Stunde lang dem vierten Teil eines langen Essays von Fidel Castro. Unter der Überschrift „Einblicke in das Imperium“ nahm der Expräsident darin Interna der nordamerikanischen Politik auseinander, während wir alle in seinem eigenen Hinterhof auf Nachrichten über das heraufziehende Unwetter warteten.
Es mag so scheinen, als würden Kubaner derartige Absurditäten geduldig schlucken und einfach weitermachen – aber dem ist nicht so. Der Ärger bleibt. Man sollte all die Familien, die durch „Paula“ ihr Haus verloren, zu dem Fernsehstudio bringen oder zu der Behörde, die entschied, besser keine Gefahrenmeldung herauszugeben. Niemand von denen, die dort arbeiten, musste unter offenem Himmel übernachten. Für sie war „Paula“ ein tropischer Sturm, der sich nach seinem Weg über die Insel schnell wieder auflöste.
■ Die Autorin lebt als Bloggerin in Havanna Foto: dpa