: Vom Lehrerstreik zum breiten Volksaufstand
In Mexikos Bundesstaat Oaxaca droht Repression gegen eine Bewegung, die den Rücktritt des Gouverneurs fordert
MEXIKO-STADT taz ■ Kommt es im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca zur Eskalation der Gewalt? Barrikaden, Zeltlager und ausgebrannte Autos prägen das Straßenbild der gleichnamigen Landeshauptstadt, seit streikende Lehrer und Mitglieder linker Basisorganisationen den Touristenort besetzt haben. Nun bereiten sich Sicherheitskräfte auf einen Einsatz gegen die Aktivisten vor. In den letzten Tagen wurden tausende Beamte der Bundespolizei zusammengezogen, um den Protesten ein Ende zu setzen, bereits seit längerem steht Militär in Bereitschaft. Armeehubschrauber überfliegen die Stadt.
Schon seit dem 22. Mai befinden sich in Oaxaca etwa 70.000 Lehrer im Streik. Doch was als Arbeitskampf um höhere Löhne und bessere Lehrbedingungen begann, ist mittlerweile zu einem Volksaufstand geworden. Nachdem Polizeieinheiten des Bundesstaates am 14. Juni gewaltsam gegen die Streikenden vorgegangen waren, haben sich zunehmend andere gesellschaftliche Gruppen den Pädagogen angeschlossen: indigene Organisationen, linke Parteien, Studenten. Organisiert in der „Versammlung der Bevölkerung Oaxacas“ (Appo) kontrollieren sie das Zentrum der Landeshauptstadt. Die Aktivisten besetzten Radio- und Fernsehstationen, blockieren Straßen und machen mit Protestcamps auf ihre Forderungen aufmerksam. Zahlreiche Regierungsgebäude sind durch Blockaden faktisch geschlossen, in Wandparolen empfiehlt die Appo Urlaubern, die in die traditionelle Zapotekenstadt kommen: „Touristen, haut ab!“
Die Stimmung ist angespannt: Mindestens drei Appo-Mitglieder starben durch gewaltsame Angriffe, ein der Appo nahe stehender Student wurde entführt, mehrmals fielen Schüsse gegen Demonstranten. Die von 350 Gruppen getragene Appo geht davon aus, dass hinter den Aggressionen von der Regierung Ruiz gedeckte paramilitärische Gruppen stecken. Ebenso wertet das Bündnis vier Bombenanschläge auf Banken und eine VW-Vertretung, die am Montag vermeintlich von einer Guerillagruppe verübt wurden. „Diese terroristischen Akte sollen die Intervention der Bundessicherheitskräfte rechtfertigen“, glaubt die Appo. Auch Menschenrechtler erheben schwere Vorwürfe gegen Gouverneur Ruiz. Gefangene seien misshandelt und Appo-Sprecher mit dem Tode bedroht worden, heißt es in einem Bericht internationaler und mexikanischer Menschenrechtsorganisationen.
Ruiz forderte die Bundesregierung dazu auf, mit Sicherheitskräften einzugreifen. „Die Bewegungsfreiheit der Bürger muss gewährleistet werden“, erklärte der Politiker der Institutionalisierten Revolution (PRI). Auch der Sprecher des Innenministeriums in Mexiko-Stadt, Arturo Chávez, schloss gewaltsame Maßnahmen nicht aus. „Der Einsatz der Sicherheitskräfte ist das letzte Mittel der Politik“, sagte er. Präsident Fox von der Partei der Nationalen Aktion (PAN) versprach, dass das Problem erledigt sei, bis er am 1. Dezember sein Amt dem Nachfolger Felipe Calderón (PAN) übergeben werde. Von dem Ausstand der Lehrer sind über eine Million Kinder betroffen, zudem verzeichnet der Tourismus schwere Einbußen.
Bislang sind alle Versuche gescheitert, über Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Appo zu einer Lösung zu kommen. In den für gestern angesetzten Verhandlungen ging das Kabinett Fox verhältnismäßig weit, um die Lehrer an ihre Arbeitsplätze zurückzubringen. Sogar Verfassungsänderungen standen auf der Tagesordnung – doch die Streikenden gingen nicht hin. Für Gespräche, an denen auch Gouverneur Ruiz teilnehme, stehe man nicht zur Verfügung, hieß es zur Begründung.
Hinter den Barrikaden Oaxacas warten die Aufständischen indes ängstlich und gespannt auf die nächsten Tage. In den auf der Straße gestapelten Sandsäcken steckt ein Schild: „Wir sind vorbereitet.“ WOLF-DIETER VOGEL