: Afrikanischer Flächenbrand
Der Krieg im sudanesischen Darfur wird intensiver und bedroht jetzt die Stabilität der gesamten Region. Die Welt ist ratlos
VON DOMINIC JOHNSON
Von einem „Konflikt neuer Qualität“ spricht der Kommissionschef der Afrikanischen Union, Alpha Oumar Konaré; sein EU-Amtskollege José Maria Barroso warnt vor einem „Ruanda-Syndrom, in dem die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung nicht wahrnimmt“. Der Krieg im westsudanesischen Darfur nimmt an Intensität zu, die internationale Reaktion darauf wird zugleich ratloser. „Darfur steht am Rande des Chaos“, warnt die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) in einem heute veröffentlichten Bericht. „Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen.“
Seit 2003, als erstmals bewaffnete Rebellen in Darfur die sudanesischen Regierungstruppen angegriffen haben, sind Schätzungen zufolge mehr als ein Drittel der sechs Millionen Einwohner Darfurs vertrieben worden, 200.000 bis 400.000 wurden getötet. Sudans Regierung hat zusammen mit verbündeten lokalen Reitermilizen, genannt „Janjaweed“, tausende Dörfer zerstört und weite Landstriche entvölkert. Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Rebellen führten zwar im vergangenen Mai zu einem Friedensabkommen. Aber die meisten Rebellen Darfurs lehnen das Abkommen ab, weil es keine Sicherheitsgarantien für die Vertriebenen bietet. Der einzige Unterzeichner des Abkommens auf Rebellenseite, Minni Minawi von der „Sudanesischen Befreiungsarmee“ (SLA), ist in seiner eigenen Bewegung isoliert. Zusammengeschlossen in einer „Nationalen Rettungsfront“ (NRF), haben die anderen Rebellen den Kampf wieder aufgenommen.
Daraufhin startete Sudans Regierung Ende August eine Großoffensive in Darfur – just zu dem Zeitpunkt, als der UN-Sicherheitsrat in New York die Ausweitung der bestehenden UN-Blauhelmmission im Südsudan auf Darfur beschloss. Der amnesty-Bericht zieht eine düstere Bilanz der Folgen: Luftangriffe auf Zivilisten, Janjaweed-Angriffe und erneute Vertreibungen. „Die wachsende Unsicherheit hat zum kompletten Rückzug humanitärer Hilfe aus manchen Gebieten geführt“, so amnesty. „Wenn die Kämpfe sich ausbreiten, ist die gesamte Hilfsoperation in Darfur gefährdet. In großen Teilen West-Darfurs haben die Janjaweed fast komplett die Kontrolle und besetzen allmählich das Land, das in den Kampagnen der ‚verbrannten Erde‘ 2003 und 2004 entvölkert wurde.“
Der Großteil der Provinz West-Darfur ist inzwischen für Hilfswerke nur schwer zugänglich, und im Osten Tschads nehmen Janjaweed-Angriffe auf Flüchtlinge zu. So wächst das Risiko, dass der Darfurkrieg die gesamte Region destabilisiert: Tschad, dessen Präsident Idriss Déby im April knapp einem Umsturzversuch sudanesisch unterstützter Rebellen entging; die Zentralafrikanische Republik, wo Milizenangriffe Hunderttausende in die Flucht getrieben haben. Die Todesrate dort, meldete kürzlich die UNO, ähnelt inzwischen der in Darfur vor zwei Jahren. Dazu kommt Instabilität an Sudans Grenze zum Kongo, wo die ugandische Rebellenbewegung LRA (Widerstandsarmee des Herrn) ihre Basen hat. Gestern verkündete Ugandas Regierung das Ende eines im August ausgehandelten Waffenstillstands mit der LRA. In der kongolesischen Region Ituri an der Grenze zu Uganda kündigten Rebellen zu Wochenbeginn eine Waffenruhe auf.
„Ganz Zentralafrika könnte destabilisiert werden“, warnte UN-Generalsekretär Kofi Annan letzte Woche auf einem UN-Gipfel in Ruanda. „Die internationale Gemeinschaft muss ihre Anstrengungen zur Grenzsicherung in dieser Zone verstärken.“ Hilfswerke warnen vor Strömen von Waffen und Rebellen, die über die kaum demarkierten Grenzen dieser riesigen Region gelangen.
An internationalen Truppen mangelt es zwar nicht: Frankreichs Armee steht in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, im Kongo steht die größte UN-Blauhelmtruppe der Welt. Aber zu effektivem Eingreifen gegen Milizen oder auch nur Grenz- und Luftraumüberwachung scheint niemand in der Lage zu sein. Auch die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene UN-Truppenentsendung nach Darfur wird nicht umgesetzt, weil Sudans Regierung sich hartnäckig sträubt. Beschlossen ist nur die Verstärkung der bestehenden AU-Truppe von 7.000 auf 11.000 Mann und ihre technische Aufrüstung durch UN-Berater.
Amnesty geht jedoch mit der AU hart ins Gericht, weil diese sich Sudans Sichtweise angeschlossen habe, wonach die verbleibenden, in der NRF zusammengeschlossenen Rebellen in Darfur „Terroristen“ seien und keine Verhandlungspartner. Die Rebellen seien im August aus den AU-Gremien zur Überwachung des formal immer noch geltenden Waffenstillstands in Darfur hinausgeworfen worden. AU-Truppen seien bei Regierungsoffensiven untätig geblieben – Sudans Luftwaffe habe sogar einen AU-Hubschrauber einsetzen können. „Zivilisten brauchen eine neue und effektivere Friedenstruppe“, so amnesty.
In den USA ist längst eine Diskussion in Gang gekommen, die die Krise in Darfur mit jener in Kosovo 1999 vergleicht. Ultimaten an Sudan, dann Luftangriffe – mit solchen Vorschlägen gehen US-Demokraten aus der Clinton-Ära derzeit an die Öffentlichkeit. Das wiederum bestärkt Sudans Hardliner in ihrem Glauben, ihr Land sei die nächste Front im weltweiten Krieg zwischen islamischer und westlicher Welt. Darfur zahlt dafür den Preis.