: Invasion der Landschaftsplaner
AUS DÜREN TORSTEN SCHÄFER
Der schmale Pfad führt steil hinab in das Fichtendickicht von Hürtgenwald. Dunst steigt aus dem Tal empor, es regnet. Hellgrün leuchtet Farn aus einem der Bombentrichter am Wegesrand. in dieser Gegend zwischen Aachen und Düren fielen im Herbst 1944 bei einer der schlimmsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges 65.000 Soldaten. Nach ein paar Schritten über Teppiche von Sternmoos öffnet sich der Wald. Erlen stehen an einem Bachufer, das von Wildschweinen verwüstet wurde. Lutz Dalbeck kraxelt über einen Baumstamm und springt mit einem großen Satz ans andere Ufer. „Da, der Biberteich!“ Dann ist er hinter einer Baumgruppe verschwunden.
Wenn der eher zurückhaltende Biologe auf den Biber angesprochen wird, fängt er an zu sprudeln. „Sie gestalten Landschaften wie der Mensch. An einer Stelle haben sie 17 Teiche angelegt“, schwärmt Dalbeck. Der junge Mann steht auf einem Damm aus Ästen und Zweigen über einem glasklaren Teich voller Wasserlinsen, den die Biber aufgestaut haben. Kein Nager ist zu sehen. Die nachtaktiven Tiere haben sich wahrscheinlich in ihre Erdhöhlen verzogen, deren Eingang immer unter Wasser liegen muss. An tieferen Gewässern ist das der Fall. Sieht der Biber aber die Gefahr, dass die Pforte in sein Schlafreich im Trocknen liegen könnte, weil ein Bach zu wenig Wasser führt, baut er Dämme, um den Wasserstand anzuheben.
Der Talgrund bei Hürtgenwald ist von einem riesigen Mikadospiel bedeckt: Kreuz und quer haben die Baumeister dicke und dünne Bäume über ihren Teich gelegt, aus dem abgestorbene Stämme und Äste kerzengerade in den Himmel ragen. Am Ufer wachsen Gräser, Mädesüß und Iris. „Biber fällen Bäume im Tal, wo daraufhin Pflanzen wachsen, die sie fressen. Das ist ein geschlossenes System“, sagt Lutz Dalbeck. Aber auch am gegenüber liegenden Berghang war ein Nager am Werk – der Wald ist großflächig gerodet worden. Mindestens 30 Eichen haben die Biber gefällt. „Was wie Zerstörung aussieht, ist Erneuerung“, erklärt Lutz Dalbeck. „Biber schaffen neue, äußerst artenreiche Lebensräume.“
Grenzenlos aktiv
Neun polnische Biber hat das Forstamt Hürtgenwald in den 80er Jahren in der Eifel ausgesetzt – 150 Jahre nachdem die letzten Tiere im Rheinland starben, weil Fell und Fleisch Höchstpreise erzielten und ihr Drüsensekret menschliche Potenzprobleme lindern sollte. Heute gibt es rund 200 Biber im Kreis Düren, sie machen gut 90 Prozent des landesweiten Bestandes aus. Auch am Niederrhein breitet sich die Spezies aus. Dort hat die Kreisverwaltung bei Kleve einen Bestand ausgemacht. Die Populationen, die bei Wesel ausgesetzt wurden, haben sich ebenfalls entwickelt und werden wohl bald mit niederländischen Artgenossen eine Kolonie bilden.
Lutz Dalbeck steht am zweiten Biberteich. Durch sein Fernglas späht er auf einen Stamm im Wasser, um den bläuliche Libellen tanzen. „Hufeisen-Azurjungfern“, erklärt er. Wenn Biber dunkle Bachtäler in amazonasähnliche Wasserlandschaften verwandeln, entstehen ganze Inseln der Artenvielfalt: Frösche, Kröten und Libellen kommen an Biberteichen öfter vor als an einfachen Bachläufen, was wiederum Ringelnattern, Graureiher und Eisvögel anzieht. In den Wäldern der Eifel lebt der seltene Schwarzstorch, der ebenfalls von der Ausbreitung des Bibers profitiert, die gerade erst begonnen hat.
In den kommenden Jahren wird nach jüngsten Feldforschungsergebnissen der Biberbestand zwischen Aachen und Köln rasant zunehmen. Die Bevölkerung akzeptiere den Biber, sagt Wilhelm Bergerhausen, Biberberater im Kreis Düren. Dennoch gibt es stellenweise Unmut. Denn die Eifelbiber fluten Felder, fällen Bäume in Gärten, wühlen Löcher in Dämme und lassen Teiche leer laufen. Der Jülicher Zuckerfabrik haben sie einmal das Wasser abgegraben. „Wir konnten bisher alle Probleme vernünftig lösen“, sagt Bergerhausen. Doch weitere Probleme sind beim jetzigen Ausbreitungstempo programmiert. „Wir müssen die Bevölkerung informieren. Nur so können wir kommende Konflikte vermeiden“, meint der Biberberater. Ein ganzes Beraternetz wäre mittelfristig nötig, wie es etwa in Bayern existiert. Doch selbst für die Bezahlung des einen Biberberaters lassen sich keine Sponsoren mehr finden. Das NRW-Umweltministerium ist knapp bei Kasse. Auch deshalb sei vorerst keine Unterstützung zu erwarten. „Wir sehen momentan keinen Handlungsbedarf, werden die Situation aber weiter beobachten“, so eine Sprecherin.
Bibermanagement
Bei rechtzeitiger Aufklärung kann solchen Konflikten vorgebeugt werden. „Man kann Drahtmanschetten um gefährdete Obstbäume legen oder einen stabilen Zaun um das Grundstück ziehen, der bis in die Erde reicht“, sagt Biologe Dalbeck. Uferpartien, in die Biber ihre Gänge graben könnten, versehen Umweltbehörden mit Schutzgittern.
Eine Erstattung von Biberschäden gibt es in Deutschland grundsätzlich nicht. Bisweilen gibt es lokale Entschädigungsfonds, wie etwa in Bayern, wo 200 Biberberater im Einsatz sind, um Problemen vorzubeugen oder sie zu entschärfen. Nur äußerst selten kommt es deshalb zu größeren Konflikten zwischen den Menschen und den schätzungsweise 8.500 Bibern im Land. Bei zu großen Schäden werden die Tiere gefangen oder ausnahmsweise auch erlegt. „Unser Bibermanagement funktioniert sehr gut“, sagt Kai Frobel vom Bund Naturschutz in Bayern. Überall in Deutschland müssten die Menschen wieder lernen, mit Wildtieren wie dem Biber zusammenzuleben, sagt der Experte. „Wir haben verlernt, mit ihnen umzugehen. Deshalb müssen wir rechtzeitig aufklären“, sagt Artenschützer Frobel. „Das sind wir dem Biber einfach schuldig.“
Konfliktvermeidung tut Not, aber gegen den Einfallsreichtum der klugen Baumeister gibt es wohl kein Mittel. Wilhelm Bergerhausen erzählt, wie ein Biber an einem Teich den Betonabfluss mit Ästen verstopfte, um ein mögliches Absinken des Wasserspiegels und damit die Trockenlegung seines Baueingangs zu verhindern.
Grandiose Architekten
Auch die Kall, einen wilden Zufluss der Rur, stauten Biber mal kurzerhand auf und buddelten einen Graben zu ihrem Heimatbach, als dieser ausgetrocknet war. „Das Wasser floss, und der Bach war wieder bewohnbar“, erzählt Lutz Dalbeck, der jetzt vor einer großen Buche kniet. Der Baum scheint wie von Äxten bearbeitet. Eine mächtige Kerbe klafft im Stamm. „Hier waren sie besonders sorgfältig. Sonst gehen sie schneller vor. Anderen Bäumen nehmen sie so lange die Rinde, bis sie eingehen“, sagt Dalbeck ein wenig verwundert.
Biber werfen ständig neue Fragen auf. Lutz Dalbeck erforscht sie seit Jahren. Er hat sie beobachtet, fotografiert, gezählt und ihre Nahrung analysiert. Er hat sich in sie hineingedacht. Doch selbst für den Biber-Biologen, bleibt der grandiose Architekt im Tierreich unergründlich. Den Ureinwohnern Nordamerikas mag es ähnlich gegangen sein. Der Biber taucht in ihren Schöpfungsgeschichten auf. Demnach war er es, der mit Dämmen Wasser und Land trennte und so Leben auf den Kontinenten ermöglichte.