: Nobelpreisgewinner USA
Das diesjährige Votum des Nobelpreis-Komitees hätte eindeutiger nicht sein können. In den Sparten Medizin, Physik und Chemie gingen alle Nobelpreise in die USA. Mit 228 Preisträgern stehen damit die USA ganz oben auf der seit 1901 geführten Nobelliste. Zweiter ist Großbritannien (75) und dann folgt mit zehn Preisträgern im Rückstand Deutschland. Danach kommt Frankreich mit 26. Es mangele bei uns nicht an Qualität, sagt DFG-Präsident, Professor Helmut Schwarz. Wir müssten unsere Forscher nur lautstärker anpreisen
Gezielte Genblockade
Daran gedacht, einmal mit den Nobelpreis ausgezeichnet zu werden, hat Craig C. Mello schon. Doch dass er so schnell schon zu den Auserwählten gehört, habe ihn „total überrascht“, sagte der 45-jährige Biochemieprofessor von der University of Massachusetts in Worcester kurz nachdem die Mitteilung kam, dass er den diesjährigen Nobelpreis in Medizin erhalten wird. Er sei doch noch „viel zu jung“ und sein Erfolg noch „viel zu frisch“, meinte Mello, der zuerst dachte, es sei alles nur „ein Traum“ oder gar „ein Fehler“.
Den mit 1,1 Millionen Euro dotierten Nobelpreis wird sich Mello mit seinem zwei Jahre älteren Kollegen Andrew Z. Fire von der Stanford University in Kalifornien teilen. Mello und Fire werden für ihre grundlegenden Arbeiten zur gezielten Stummschaltung von Genen ausgezeichnet, teilte das Karolinska-Institut am Montag in Stockholm mit. Acht Jahre ist es jetzt her, dass die beiden in einem gemeinsam verfassten und im Fachmagazin Nature veröffentlichten Artikel aufzeigten, wie gezielt einzelne Erbanlagen „stillgelegt“ werden können.
Mit dieser als RNA-Interferenz (RNAi) bezeichneten Methode bekamen Genetiker ein gänzlich neues Werkzeug zur Verfügung gestellt, mit dem sie in das Genom von Lebewesen eingreifen können. Die Erbanlagen von höheren Organismen liegen im Kern der Zelle, auf dem Erbmolekül DNA. Wenn die Zelle eines der Gene abliest, fertigt sie dafür zunächst eine Abschrift der gewünschten Erbanlage an, die mRNA (Messenger-RNA), auch „Boten“-RNA genannt. Die mRNA, die den Bauplan für ein Protein enthält, verlässt den Zellkern und wandert im Zellinneren zu den Ribosomen. Dort wird die in der mRNA gespeicherte Erbinformation „abgelesen“ und das gewünschte Protein zusammengebaut. Die Boten-RNA entsteht stets als ein einzelner Strang, die DNA hingegen liegt als ein Doppelstrang vor.
Die Entdeckung, dass mit Hilfe der RNAi diese Proteinsynthese unterbrochen werden kann, haben Mello und Fire einem Zufall und ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Sie hatten versucht, bei einem winzigen Fadenwurm Caenorhabditis elegans durch die Injektion von kleinen künstlichen RNA-Schippseln eine Genblockade auszulösen. Erkennbar sein sollte das an Muskelzuckungen, die durch das Fehlen eines Proteins ausgelöst werden. Sie injizierten dem Fadenwurm sowohl einzelsträngige RNA als auch in Form eines Doppelstranges. Zu ihrer Überraschung konnten die Muskelzuckungen nur durch den RNA-Doppelstrang ausgelöst werden.
Sehr schnell konnten sie dann den Mechanismus aufklären, warum nur der Doppelstrang zu einer Blockade führt. Die doppelsträngige RNA wird in der Zelle als fremd erkannt und von einem Enzym in kleine Abschnitte zerkleinert. Der Doppelstrang wird aufgetrennt und eine Hälfte bindet an einen Proteinkomplex. Dort dient die die einzelsträngige RNA als Sonde. Wird eine komplementäre Sequenz gefunden, verbindet sich diese mit der Sonde wieder zu einem Doppelstrang, der dann auch gleich wieder abgebaut wird. Auf diese Weise kann gezielt eine bestimmte Boten-RNA vernichtet werden. Die durch die künstliche RNA ausgelöste Blockade setzt also nicht auf der Genebene an, sondern bei der Boten-RNA.
Vermutet wird, dass diese Methode sich im Laufe der Evolution entwickelte, um unerwünschte Eindringlinge abzuwehren. Denn bei vielen Viren liegt die Erbinformation in Form einer Doppelstrang-RNA vor.
In der Genetik wird das RNAi-Verfahren heute genutzt, um die Funktion der Gene aufzuklären. Wird ein Gen blockiert, kann man untersuchen, welche Auswirkungen dies im Organismus zur Folge hat. Die Hoffnung ist aber auch, dass mit der RNAi fehlerhafte Gene stillgelegt werden können. So konnte im Tierversuch unter anderem ein für einen hohen Cholesterinspiegel verantwortliches Gen ausgeschaltet werden. In den USA laufen derzeit auch schon erste Versuche mit Patienten. So wird versucht, mit der RNAi die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) – eine Augenerkrankung bei der die Sehschärfe nachlässt – aufzuhalten oder gar wieder rückgängig zu machen. In einem anderen Projekt wird die RNAi zu Therapie einer viralen Lungenerkrankung eingesetzt. WLF
Spurensuche im Urknall-Echo
Physiknobelpreisträger 2006 sind die beiden US-Astrophysiker John C. Mather (60) und George F. Smoot (61). „Durch ihre Arbeit haben wir ein wirklich neues Werkzeug zum Vermessen des Universums“ begründete ein Mitglied des Nobelkomitees in Stockholm die Entscheidung. Mit dem Nasa-Satelliten COBE, der Ende der Achtzigerjahre entscheidende Daten zur Untermauerung der Urknall-Theorie lieferte und an deren Entwicklung die beiden Astrophysiker maßgeblich beteiligt waren, „begann das goldene Zeitalter der Kosmologie, in dem wir uns auch heute noch befinden“, hieß es.
„Wir werden das feiern, aber wir wissen noch nicht wie“, sagte Mather kurz nach dem Anruf aus Stockholm. Der Forscher arbeitet am Nasa Goddard Space Flight Center in Greenbelt, im US-Bundesstaat Maryland. Sein Kollege Smoot forscht am Berkeley National Laboratory in Kalifornien.
Per Carlson, Mitglied des Nobelkomitees und Astrophysiker, sagte in Stockholm: „Die beiden haben Kosmologie zu einer Präzisionswissenschaft gemacht. Sie waren die absolut entscheidenden beim „COBE“-Projekt. Es war nicht schwer, die Entscheidung für sie zu treffen.“
Die nun ausgezeichneten Arbeiten seien das Wichtigste, was es in der Kosmologie in den vergangenen Jahren gegeben habe, sagte auch Jakob Staude vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. „Wir kennen den Kosmos in seinen wesentlichen Strukturelementen nun so genau wie nie zuvor. Wir können zum Beispiel erklären, warum es in unserer Umgebung welche Galaxien gibt und warum sie häufig Quasare im Zentrum haben.“ Als Quasare werden die stark strahlenden Kerne weit entfernter Galaxien bezeichnet.
Mit dem 1989 gestarteten Satelliten COBE Cosmic Background Explorer) hatten die Forscher um Mather und Smoot bereits kurz nach dem Start feine Temperaturschwankungen im Urknall-Echo nachgewiesen, die heute als Saat der ersten Galaxien gelten. „COBE“ hatte Schwankungen von nur 30 Millionstel Grad Celsius nachweisen können. Mather war seit 1974 die treibende Kraft hinter dem Satelliten-Projekt. Smoot war verantwortlich für eines der Geräte an Bord, mit dem sich Variationen der Strahlung messen ließen.
Bereits die frühen „COBE“-Resultate waren von Kollegen stürmisch bejubelt worden. Inzwischen sind die Phänomene mit moderneren Experimenten noch sehr viel detaillierter vermessen worden. Das Alter des Alls ließ sich so zum Beispiel mit sehr großer Sicherheit auf 13,7 Milliarden Jahre beziffern.
Mit ungenauen Messgeräten erscheine die Temperatur des Weltalls überall gleich, erklärte der Astrophysiker Staude. Wer aber mit großer Genauigkeit von einem zehntausendstel oder hunderttausendstel Grad nachsehe, entdecke feinste Schwankungen. Diese ließen sich mit „Klumpen in einer Suppe“ vergleichen und seien die Keimzellen der Galaxien gewesen. Die Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung ist verschwindend gering – sie liegt nur etwa 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt der Temperatur von minus 273,16 Grad Celsius. Daher ist dieser schwache Nachhall des „Big Bang“ nur mit viel Aufwand zu messen. DPA
Röntgenblick in den Zellkern
Auch der Nobelpreis für Chemie geht in die USA. Im Unterschied zu den beiden anderen naturwissenschaftlichen Preissparten muss Roger D. Kornberg (59), Biochemiker an der Standord University in Kalifornien, die Auszeichnung nicht mit einem Kollegen teilen. Kornberg bekommt den Chemie-Nobelpreis 2006. für seine detailgenaue Erklärung, wie die Zellen höherer Lebewesen die Erbgutinformationen der DNA auf eine Blaupause, der Boten-RNA, übertragen. Entscheidend bei dem Kopiervorgang ist ein Protein-Komplex, die RNA-Polymerase. Nach dem Kopieren wird die Boten-RNA, die die Bauanweisung für ein Protein enthält, aus dem Zellkern herausgeschleust.
„Kornberg ist der Erste, der ein wirkliches Schema dieses Prozesses auf molekularer Ebene erstellt hat.“ Das Verständnis dieses Vorgangs, der sogenannten Transkription, sei von grundlegender medizinischer Bedeutung, erklärte die Schwedische Akademie der Wissenschaften bei der Bekanntgabe des Preisträgers.
Eigentlich hätte Kornberg den Nobelpreis auch in der Sparte Medizin bekommen können. Denn dort stand dieses Jahr auch die Boten-RNA im Mittelpunkt. Kornberg hat den im Zellinneren ablaufenden Kopierprozess bei höheren zellkernhaltigen Organismen (Eukrayonten) untersucht. Seine Ergebnisse sind für alle Lebewesen gültig, die einen Zellkern besitzen, das heißt von Hefepilz über die Schnecke bis hin zum Menschen.
Kornberg hatte unter anderem mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse untersucht, wie die eukaryontische Transkription funktioniert. „Die DNA speichert die Erbsubstanz und gibt sie weiter. Sie ist aber eine tote Substanz“, sagte der deutsche Chemie-Nobelpreisträger von 1988, Robert Huber vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. „Was immer das Leben ausmacht – Muskeln, Rezeptoren, Ionenkanäle –, sind Proteine. Um die Informationen der DNA zum Leben zu erwecken, braucht es einen Zwischenschritt. Diese Transkription übernimmt die RNA-Polymerase.“
Kornberg hatte seine Erkenntnisse erst vor fünf Jahren publiziert, die Auszeichnung kam daher vergleichsweise schnell. Wenn er im Dezember in Stockholm seinen Nobelpreis überreicht bekommt, wird er dort nicht zum ersten Mal dabei sein. Schon 1959, als 12-Jähriger, war er dort anwesend. Er begleitete seinen Vater Arthur Kornberg, der dort den Nobelpreis für Medizin überreicht bekam. Der heute 88-jährige Arthur Kornberg hatte untersucht, wie die Erbgutinformationen bei der Zellteilung von einer Mutterzelle auf die beiden Tochterzellen weitergegeben werden. Arthur und Roger Kornberg sind damit schon das sechste Vater-Sohn-Paar mit einem Nobelpreis. Am außergewöhnlichsten ist aber die Familie Curie. 1903 erhielt das Ehepaar Marie und Pierre Curie gemeinsam den Physik-Nobelpreis. Einige Jahre später (1911) erhielt Marie Curie für die Entdeckung des Radiums einen Chemie-Nobelpreis. Die gleiche Ehrung erhielten dann 1935 ihre Tochter Irène und deren Mann Frédéric Joliot für die Synthese radioaktiver Elemente. WLF, DPA