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Archiv-Artikel

Glückliche Lottospieler?

Bei der nächsten Ziehung warten im Jackpot mehr als 35 Millionen Euro auf glückliche Gewinner – selbst Skeptiker spielen jetzt Lotto. Kann ja nicht schaden. Oder doch? Ein Fall für „Pro und Contra“

Wenn Sie das Geld schnell wieder loswerden wollen, buchen Sie einfach zwei Tickets in den Weltraum

Pro, natürlich! Geld macht nämlich glücklich. Zweifellos. Denken Sie daran, wie schnell Sie mit ein paar Millionen die Welt verbessern könnten, wie sie sich den lang gehegten Wunsch von einer Weltreise erfüllen dürfen, ohne noch lange dafür zu ackern. Sie können auch einen Flug für zwei Personen in den Weltraum buchen, wenn Sie das Geld schnell wieder loswerden möchten.

Was es allerdings zum Glücklichwerden mit dem Schotter braucht, ist eine ordentliche Ausbildung, wie man mit ihm umgeht. Denn: Umso mehr Geld sich von heute auf morgen auf dem Konto langweilt, desto mehr Können ist gefragt, um es angemessen zu beschäftigen. Für einen Gewinn von über 30 Millionen braucht man keinen Doktor in „Wirtschaftlicher Umgang mit Glücksspielgewinnen für maximale Zufriedenheit“. Ein paar Tipps reichen auch.

Hängen Sie nie ein Schild an Ihren Laden „Wegen Reichtum geschlossen“. Nicht nur, weil sich damit sämtliche Boulevard-Journalisten, Geiselnehmer und Politiker in Ihr Heim eingeladen fühlen. Sie werden sich auch bald langweilen, nachdem Sie bemerkt haben, dass Ihre Freunde tagsüber nun mal keine Zeit für Champagnerfrühstück und Shopping-Touren in Paris haben. Zügeln Sie Ihre Euphorie und behalten Sie Ihr kontosprengendes Geheimnis für sich. Überlegen Sie doch mal, wie viele Möglichkeiten es nun gibt, die Welt zu revolutionieren – und das ganz ohne die Last des verdammten Berühmtseins!

Mit Ihren Millionen dürfen Sie sich nun auch den Luxus leisten, gebraucht zu werden. Sie können Aidsmedikamente per Privatjet nach Afrika fliegen oder auf einen Schlag hundert Patenkindern in Indien eine schönere Kindheit schenken. Die Möglichkeiten sind unendlich – fast so wie Ihr Geldfluss. Dazu müssen Sie den Gewinn allerdings so anlegen, dass er für Sie arbeitet. Suchen Sie sich einen Finanzberater, der es schafft, dass Sie Geld raushauen, ohne dass es weniger wird. Märchen werden wahr: ein echter Goldesel!

Nun die goldene Regel: Werden Sie nicht geizig. Um dem vorzubeugen, können Sie zuerst einmal Ihre Familie glücklich machen. Zum Beispiel das Haus Ihrer Mutter abbezahlen, das neue Auto des Onkels finanzieren und nebenbei noch dazu beitragen, dass die Studiengebühren Ihre Schwester nicht auffressen.

Sie sind dazu prädestiniert, Menschenleben zu retten. Wenn das mal nicht glücklich macht!

BARBARA BEHRENDT

Contra, selbstverständlich! Geld macht glücklich? Hm, mal sehen. Unglücklich macht es jedenfalls nicht. Oder nur dann, wenn man gegen falsche Freunde allergisch ist. Oder wenn irgendwie trotzdem noch ein paar Euro zum Erwerb eines eigenen Eilands im Pazifik fehlen, schöne Scheiße.

Gibt ja heutzutage kaum noch Millionäre, nur noch Milliardäre, und die verderben die Preise. Doch, es stimmt schon, Geld macht glücklich. Und noch mehr Geld macht noch viel glücklicher. Es stimmt uns sogar schon heiter und beschwingt, wenn wir uns nur ausmalen, was wir „mit all dem Geld“ so anstellen könnten an Extravagantem, Tollem und meinetwegen auch Menschenfreundlichem. Nichts davon aber könnte extravagant, toll oder menschenfreundlich genug sein, um Woche für Woche aufs Neue die Demütigung zu rechtfertigen, im Kiosk um die Ecke zu Kreuze zu kriechen.

Wie? „Each man has it’s price“? Ach, auch das trifft zu, leider. Vor zwei Jahren waren es noch 25, diesmal sind’s 35 Millionen Euro, die auch all jene prinzipiell vernunftbegabten Menschen zu Lottospielern degenerieren lassen, denen das Tippen ansonsten als tendenziell alberne Angelegenheit kleinstbürgerlicher Stände erscheint. Könnte ja sein, dass es klappt.

Darauf, dass es klappen könnte, spekuliert unter normalen Bedingungen nur das traurige Hartz-IV-Völkchen, das für diese Spekulation routiniert belächelt wird. Von Mathematikern beispielsweise, die nicht müde werden, die aberwitzig geringe Wahrscheinlichkeit eines Sechsers anschaulich zu machen – sie ist in etwa so gering wie die Chance eines Beifahrers, mit einem einzigen Wurf aus dem Fenster den Pfosten eines bestimmten Straßenschildes zu treffen, das irgendwo an der Strecke zwischen Berlin und Rom (und zurück) steht. Der Jackpot ist prall gefüllt mit dergestalt sinnfrei aus dem Fenster geworfenen Kleingeld.

Geld mag glücklich machen. Das Hoffen und Warten darauf aber macht unglücklich. Todsicher

Ganz egal, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist: Es gibt sie, und das allein genügt auch schon, um uns von einem Gewinn träumen zu lassen.

Wie mühselig und beladen unser Alltag auch sein mag – jede „Ziehung der Lottozahlen“ ermutigt uns, diesen Alltag als Provisorium zu betrachten, aus dem wir erlöst werden können.

Lotto ist und bleibt daher ein säkuläres Heilsversprechen, das seelisches Sodbrennen verursacht. Geld mag glücklich machen. Das Hoffen und Warten darauf aber macht unglücklich. Todsicher.

ARNO FRANK