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Archiv-Artikel

Heizen mit Nanoröhren

ENTWICKLUNG Neues Verfahren enteist Flugzeuge energieärmer und billiger. Bleibt die Frage nach seiner Giftigkeit

VON CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Eine Flugzeugoberfläche von Eis zu befreien, ist zurzeit ein äußerst mühsames Unterfangen. Zumeist besprühen Mitarbeiter des Bodenpersonals das Flugzeug mit großen Mengen an Frostschutzmitteln wie Glykol. Dies kann bis zu 40 Minuten dauern und kostet etwa 2.000 Dollar. Auf Enteisung kann aber nicht verzichtet werden. Bildet sich Eis auf dem Flugzeug, wird seine glatte Oberfläche rau. Dies erhöht den Luftwiderstand und verringert den Auftrieb an den Flügeln.

Und es sind nicht nur die Flügel, die betroffen sind. Eis sammelt sich an jeder exponierten Fläche des Flugzeugs – auf den Propellern oder dem Cockpitfenster, auf den Antennen oder in den Lüftungsschächten. Eis kann dazu führen, dass die Antennen so stark vibrieren, dass sie brechen. Eine Vereisung kann so gefährlich werden, dass der Flug sofort unterbrochen werden muss.

Die Materialwissenschaftler Dawid Janas und Krzysztof K. Koziol von der Universität Cambridge in Großbritannien entwickelten ein Verfahren, das Flugzeuge schnell, zuverlässig und preiswert enteist und damit sowohl Passagieren als auch Fluggesellschaften das Leben wesentlich erleichtern kann.

Im Wesentlichen geht es bei diesem Verfahren um mikroskopisch kleine röhrenförmige Gebilde aus Kohlenstoff – um Kohlenstoffnanoröhren, auch CNT (carbon nanotubes) genannt.

Kohlenstoff ist ein einzigartiges Element, das in verschiedenen Strukturen vorkommt – unter anderem im Graphen. Die Kohlenstoffatome hängen dort wabenförmig in einer Ebene zusammen, viel dünner als ein Blatt Papier, nicht mal einen Millionstel Millimeter dick. Graphen kann als Ausgangsbasis der Kohlenstoffnanoröhren betrachtet werden. Rollt man es zusammen, so entsteht eine Kohlenstoffröhre; eine hohle Struktur, die ausschließlich aus Kohlenstoffatomen besteht. Am Ende jeder Röhre befindet sich zumeist eine halbkugelförmige Kappe.

Kohlenstoffnanoröhren zeigen viele ungewöhnliche Eigenschaften, die sie für die Industrie interessant machen. Sie lassen sich in Schleifen biegen, ohne zu brechen. Kohlenstoffnanoröhren sind zudem widerstandsfähig gegen Abnutzung und Verschleiß. In Tests, in denen sie 500.000-mal komprimiert und dekomprimiert wurden, behielten die Kohlenstoffnanoröhrchen ihre ursprünglichen Formen und Eigenschaften.

Auch die elektronischen und thermischen Eigenschaften der Kohlenstoffnanoröhrchen sind ungewöhnlich. Zum einen verfügen sie über die Fähigkeit, extrem hohen Temperaturen zu widerstehen, und zum anderen, Wärme und elektrischen Strom gut zu leiten.

Als Kohlenstofflieferant verwenden Janas und Koziol das Gas Methan (chemische Formel: CH4). In einem Ofen bei Temperaturen um 1.200 Grad Celsius bilden sie daraus zusammen mit anderen Stoffen ein Aerogel – ein hoch poröses, federleichtes Material aus Nanoröhren. Im Inneren des Aerogels verschmelzen die Röhrenmoleküle zu länglichen Bündeln. Diese spannen die Forscher zu einem Faden, indem sie eine rotierende Spindel in das Aerogel halten, die die Nanoröhren aufnimmt und aufwickelt.

Der Faden wird zu einem zehn Mikrometer (also zehn Millionstel Meter) dünnen Netz oder Film aus Kohlenstoffnanoröhren verdrillt. In diesem Netz ist jede Nanoröhre höchstens einen Millimeter lang, und zwischen jeder Röhre befindet sich Luft. Infolgedessen hat der Film einen höheren elektrischen Widerstand als das ursprüngliche Graphen und wird warm, wenn elektrischer Strom hindurchfließt.

Mit diesem Film beschichteten Janas und Koziol die vereisten Flügel von Flugzeugen und erwärmten den Film mit Strom. Dies führte dazu, dass das Eis sofort taute. Während eines Flugs ist es möglich, den Strom dem Bordnetz zu entnehmen und so eine Vereisung zu verhindern. In einem Windkanal lässt sich unter Vereisungsbedingungen das neu entwickelte Vereisungssystem testen.

Verglichen mit den bisher zum Aufheizen von Flugzeugflügeln eingesetzten Heizdrähten, die aus Nickel-Chrom-Legierungen bestehen, erfolgt der Temperaturanstieg doppelt so schnell, wobei lediglich die Hälfte der Energie benötigt wird. Das Gewicht des Films beträgt nur ein Zehntausendstel der Nickel-Chrom-Drähte. Um die Flügel eines Jumbojets vollständig mit dem Film zu beschichten, genügen 80 Gramm.

Janas und Koziol gehen davon aus, dass das von ihnen entwickelte Verfahren sehr preisgünstig ist und lediglich ein Hundertstel der Nickel-Chrom-Drähte kosten würde. Mehrere Hersteller haben bereits ihr Interesse an dem Verfahren bekundet.

Bisher noch nicht ausreichend erforscht sind die gesundheitlichen Gefahren, die im Zusammenhang mit Kohlenstoffnanoröhren bestehen. Die Struktur von Kohlenstoffnanoröhren ähnelt denen von Asbest, welcher Lungenkrebs hervorrufen kann. Tierversuche zeigten, dass das Einatmen der Nanopartikel in der Lunge zu einer narbigen Umwandlung führte.

In neueren Arbeiten zu den toxischen Wirkungen von Kohlenstoffnanoröhren finden die bei der Synthese im Ofen verbleibenden metallischen Rückstände aus dem Katalysator immer mehr Beachtung. Anscheinend gehen akut toxische Reaktionen auf diese Verunreinigungen zurück. Doch auch die bisherigen Enteisungsmittel sind zumeist umweltschädlich. Vor etwa zehn Jahren begann die industrielle Produktion von CNTs in großem Umfang und hält bis heute ungebremst an.