: Gurkende Züge und schneckende Autos
Nicht nur auf der Schiene geht es drunter und drüber: vier Beispiele für eine chaotische Verkehrspolitik
Baustelle Nahverkehr:
Die Streichliste ist lang: Ab Januar 2007 werden viele Bahnstrecken in NRW ausgedünnt, weil der Bund die Mittel massiv gekürzt hat. Allein im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) werden die Züge auf zehn Strecken seltener fahren, morgens später starten, abends früher enden. Im Februar hatte die Bundesregierung beschlossen, die so genannten Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr bis 2010 um 3,3 Milliarden Euro zu kürzen. Wenn 2008 viele Verträge mit den Netzbetreibern auslaufen, könnten nach Angaben des VRR ganze Strecken ersatzlos gestrichen werden. Um Geld einzusparen, will die Landesregierung die derzeit neun Verkehrsverbünde auf drei zusammenlegen. Pro Bahn NRW befürchtet, dass dadurch vor allem Strecken in ländlichen Gebieten wegfallen. Der Verein hätte sich stattdessen gewünscht, dass NRW die gestrichenen Bundesmittel zum Teil kompensiert.
Baustelle Autobahn:
Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU) will Schluss machen mit der „Schienenvorrangpolitik“. Er setzt auf Autobahnen – zu Lasten von Schiene und Landstraßen, sagen Kritiker. Vor einigen Wochen hat Wittke ein Konzept zum Baustellenmanagement auf Autobahnen vorgestellt. Es soll auf Baustellen länger gearbeitet werden, auch wenn das für den Bund teurer wird. Außerdem forciert er den Bau der A52 mitten durch Essen. „Kontraproduktiv“, sagt Grünen-Politiker Oliver Keymis. „Wenn nicht weiter in die Attraktivität des Schienennetzes investiert wird, kommt es zu noch mehr Staus.“ Der Neubau von Umgehungsstraßen und Autobahnauffahrten gehe außerdem auf Kosten der Erhaltung vorhandener Straßen. Das sieht Peter Meintz vom ADAC Westfalen ähnlich: „In manchen Kommunen werden nur Hauptstrecken repariert, manche Nebenstraßen werden bald nicht mehr befahrbar sein.“
Baustelle Riesen-LKW:
Kritiker nennen sie Monster-Trucks, Befürworter Gigaliner: Riesen-LKW mit einer Länge von bis zu 25 Metern und 60 Tonnen Gesamtgewicht. Nach Plänen von Wittke sollen die Trucks demnächst in NRW getestet werden. Oliver Keymis, Verkehrsexperte der Grünen in NRW, hält die Vorschläge beispielhaft für das autofreundliche schwarz-gelbe Credo: Straße vor Schiene, privat vor Staat. „Die Spediteure sparen damit Arbeitsplätze, Mautgebühren und Steuern ein, die Straßenschäden durch die 60-Tonner zahlt der Steuerzahler.“ Derzeit scheitern Testfahrten mit den 60-Tonner allerdings am Votum des Bundesverkehrsministeriums. Noch seien die Risiken für die Verkehrssicherheit nicht geklärt. Werden die XXL-Trucks bald dennoch eingesetzt, befürchten die Grünen eine massive Rückverlagerung von der Schiene auf die Straße – Gigaliner gelten als 20 Prozent billiger.
Baustelle Flughäfen:
Kein Land leistet sich so viele Flughäfen wie NRW: Drei internationale, sechs regionale Airports liefern sich einen erbitterten Wettbewerb; erweitern Stellflächen für Flugzeuge, Start- und Landebahnen – und schreiben durchweg rote Zahlen. Teils, wie in Dortmund oder Münster, subventioniert durch die Stadtwerke, und damit durch die Strom- und Wasserrechnung der Bürger. „Verschwendung“ schimpfen Verbaucherschützer, „Umweltvermutzung“ die Naturverbände, „Lärmbelästigung“, die Anwohner. „Luftverkehr spielt eine wichtige Rolle in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Wittke und verteilt fröhlich Genehmigungen zum Flughafenausbau, die er selbst als „gerichtsfest“ bezeichnet. Die Gerichte sehen das allerdings anders – der Ausbau des Düsseldorfer Flughafens liegt vorerst auf Eis. Anweisung vom Bundesverkehrsministerium.M. GÖTZKE, A. HERRBERG