: Wie unkontrolliert handeln deutsche Geheimdienste?
Schon wenige Tage nach dem Kidnapping von Murat Kurnaz in Pakistan im Dezember 2001 waren deutsche Behörden informiert. Und lieferten Informationen über Kurnaz. Welche Behörden, das ist die politisch spannende Frage. Interview mit Marieluise Beck, die als Ausländerbeauftragte Mitglied des Bundeskabinetts war
taz: Offenbar wussten deutsche Behörden schon im Dezember 2001, das ein 19-Jähriger aus Bremen in Pakistan gekidnappt und verkauft worden ist. Die haben Informationen über Murat Kurnaz – wo er seine Digitalkamera gekauft hat, zum Beispiel – an deutsche Beamte in Pakistan geliefert, die ihn dort gesehen, gesprochen, gequält haben.
Marie-Luise Beck: Das wusste ich bisher nicht. Offenbar gibt es zwischen deutschen Geheimdiensten – nach meinen Informationen waren das nicht die Spezialeinsatzkräfte der KSK, sondern Geheimdienste – und allen Regierungsamtlichen Stellen eine Mauer. Mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ist so etwas nicht vereinbar.
Auch die Behörde von Joschka Fischer wusste davon nicht?
Davon gehe ich aus. Ich habe mich sehr viel später in meiner Rolle als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung an das Außenministerium gewandt. Damals wurde mit gesagt, dass das Außenministerium in Washington nur gesagt bekam, es handele sich um einen türkischen Staatsangehörigen, das ginge Deutschland nichts an.
Das ist ja sehr formal.
Nach meinem Kenntnisstand ist aber auf dieser formalen Ebene geblockt worden. Joschka Fischer hat sich 2003 an den Außenminister Collin Powell gewandt und um Informationen über Kurnaz gebeten. Das hätte er nicht getan, wenn er mehr gewusst hätte.
Fischer als Person, vielleicht. Aber die deutschen Behörden haben es gewusst.
Das müssen der Untersuchungsausschuss und die Staatsanwaltschaft aufklären. Wenn sich auch in Deutschland Nachrichtendienste oder möglicherweise Sondereingreif-Truppen wie die KSK außerhalb jeglicher rechtsstaatlichen Normen bewegen und schwere Menschenrechtsverletzungen begehen würden – das wäre ein unglaublicher Vorgang.
Nach der Schilderung von Kurnaz haben sich die vermummten deutschen Beamten in einer kumpelhaften Weise an den unmenschlichen Demütigungen beteiligt.
Ich halte das für möglich. In zugespitzen Konflikten, wo es scheinbar um Tod und Leben geht, gibt es oft entfesselte Gewalt und vollkommen unbegreifliche Rachehandlungen gegenüber dem Feind.
Gerade deswegen müssen solche Einsatzkräfte einer klaren Kontrolle unterliegen. Wenn deutsche Beamte kumpelhaft mitgemacht haben bei der Misshandlung von Gefangen, dann muss es doch in deutschen Behörden darüber irgend welche Berichte geben.
Ich glaube nicht, dass so etwas in Vermerken festgehalten wird.
Das heißt: Es gibt keine Kontrolle der Einsatzkräfte.
Es gibt nur die Kontrolle der Öffentlichkeit.
Es könnte doch sein, dass ein deutscher Beamter drei Jahre nach seiner Rückkehr plötzlich Skrupel bekommt und denkt: Was haben wir damals eigentlich getan?
Das kann ich mir nicht vorstellen. So etwas wird immer im Verborgenen gehalten und wird verdrängt. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass in den USA offensichtlich schon über die Schulung von Einsatzgruppen diese unmenschlichen Behandlungen eingeübt und geschult werden, also von oben legitimiert sind. Das kann ich mir in Deutschland nicht vorstellen.
In den USA sind alle rechtsstaatlichen Normen weggerutscht, in Russland gibt es das übrigens in einem viel stärkeren Maße auch. Das Drama ist nun, dass sich ein Krieg gegen den Irak oder auch Afghanistan, völlig seiner Legitimation entzieht. Wenn die Folter Teil der Kriegsführung ist, kann man ja niemandem mehr erzählen, man wolle die westliche Zivilisation verbreiten.
Das, was Kurnaz über seine Behandlung erzählt, kann man sich gut vorstellen in einem Bericht über Saddam-Gefängnisse.
Natürlich. Da verschwimmen die Grenzen. Die Legitimation der westlichen Welt in der Auseinandersetzung mit der islamischen Kultur zerbröselt. Ich war im Iran, ich habe mich mit arabischen Israelis getroffen – das sagen die Ihnen ins Gesicht, dass der Westen seine Legitimation verspielt.
Und die Grünen, Außenministerpartei?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Joschka Fischer das gewusst hat, auch bei Otto Schily übrigens nicht. Beim Kanzleramt, der Kontrollinstanz der Geheimdienste, wird man genau hinschauen müssen.
Eigentlich wäre doch Deutschland verpflichtet, so jemandem wie Kurnaz zu helfen. Dafür zu sorgen, dass er nicht zum Stern gehen muss, um sich ein bisschen Geld für einen neuen Start zu besorgen.
Wir sind doch erst einmal froh, dass die Gerichte für Kurnaz die Aufenthaltsmöglichkeit in Deutschland zugesprochen haben. Der Bremer Innensenator wollte ihm die Rückkehr mit zynischen Gründen versperren. Es wird ein staatsanwaltschaftliches Verfahren geben ..
Das kann Jahre dauern.
Ein Begrüßungsgeld? Es gibt eine ungeheure Scheu und Hilflosigkeit. Sicherlich auch die Frage, was vielleicht bei Kurnaz selber noch zum Vorschein kommen wird.
Aber die Harmlosigkeit des Interviews in vielen Passagen spricht doch sehr für die Glaubwürdigkeit.
Es gilt die Unschuldsvermutung, und zwar zu hundert Prozent, und zwar unabhängig von der Plausibilität. Dazu kann ich nur sagen, dass in den 60-er Jahren Zeltmissionen stattgefunden haben in deutschen Kleinstädten, wo amerikanische christliche Fundamentalisten ungeheure Emotionen produziert haben ..
Und wo 19-Jährige abgehauen sind?
In der eigenen Familie habe ich erlebt, wie sich jemand dieser Bewegung angeschlossen hat. Das zu einem islamischen Problem zu erklären ist doch selbstgerecht. Natürlich muss man politischem Extremismus im Islam entschieden entgegentreten. Aber mit welchen Mitteln, das ist die Frage. Solche Erfahrungen, wie Murat Kurnaz sie gemacht hat, strahlen aus, wirken doch auf junge Männer, die keine Zukunftsperspektive haben. Das gibt ein gefährliches Gebräu. Noch haben wir diese Radikalisierung in den eigenen Grenzen wie in England nicht.
Fragen: kawe