piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Unterschätzte

„Die Unternehmen, die mir gezeigt wurden, waren im Wesentlichen Peking-Enten-Kommunen“„Erst plant er sorgfältigden Grundriss,dann sind plötzlichdie Bagger da“

VON HANNES KOCH

Kein Minister der großen Koalition hat einen so schlechten Start erwischt wie Michael Glos. Seit fast einem Jahr wird über ihn gehämt und gewitzelt. Hat er keine Ahnung oder keine Lust, den Job als Wirtschaftsminister zu machen? Das fragt man sich, nicht nur wegen der zahlreichen despektierlichen Artikel über den 61-jährigen CSU-Politiker.

So ist es fast wohlfeil, seine lahmen Reden zu zitieren: „Die Welt wird immer globaler“, ließ er den Bundestag während der Debatte über den Bundeshaushalt 2007 wissen. Und setzte, als ihm die Redezeit ausging, hinzu: „Es gibt noch viele Dinge, über die wir lange diskutieren könnten.“ Ein TV-Reporter in der Lobby des Parlaments fasste die Ausführungen des Ministers zusammen: „Er hat zu allem etwas zu sagen.“

Michael Glos steht irgendwie neben sich. Erst seit kurzer Zeit fasst der CSU-Politiker ein wenig Tritt. Aus seiner Sicht dringend notwendig: Beim heutigen Energiegipfel der Bundesregierung und auch in den kommenden Monaten geht es um die heikle Atomfrage. Die Stromkonzerne wollen ihre Atomkraftwerke länger laufen lassen als geplant. Im Gegensatz zu Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) unterstützt Glos dieses Ansinnen.

Das ist zwar Sprengstoff für die große Koalition, aber immerhin mal eine klare Position. Daran mangelt es Glos sonst. Nur der manchmal aufblitzende Schalk macht seine Reden erträglich. Als Glos im März beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag ein Grundsatzreferat über Wirtschaftspolitik halten sollte, fand sich darin wenig Bedenkenswertes, wohl aber die eine oder andere Anekdote. So berichtete der Minister über seine erste China-Reise im Jahre 1978: „Die Unternehmen, die mir damals gezeigt wurden, waren im Wesentlichen Peking-Enten-Kommunen.“

Wenn es nur abgehangene Texte wären – aber Michael Glos machte am Anfang auch blöde Fehler. Zum Beispiel diesen: Der im Juni über die österreichische Grenze nach Deutschland eingewanderte Bär Bruno sei „seinen Häschern bisher auch stets entkommen“, sagte er in Anspielung auf die gegen ihn gerichteten Rücktrittsgerüchte. Stunden später wurde Bruno erschossen.

Glos ist geblieben. Seit der Regierungsbildung immerhin elf Monate. Ganz schön lang angesichts der Tatsache, dass über irgendwelche Initiativen seines Ministeriums wenig zu vermelden ist – von der geplanten Änderung des Kartellrechts zur Eindämmung der Strompreiserhöhungen einmal abgesehen. Die Mitarbeiter in den Abteilungen wundern sich, dass kaum Anfragen und Aufträge von der Leitung des Hauses nach unten durchgestellt werden. Oder sind das nur die Schatten, und die wahre Bewegung läuft im Rücken des Betrachters ab? „Zu seinen Stärken gehört die Arroganz seiner Gegner. Er wird immer unterschätzt“, sagt ein CSU-Abgeordneter über seinen ehemaligen Chef.

Michael Glos führte die Landesgruppe der CSU im Bundestag von 1993 bis 2005. Die krachende Rolle des christsozialen Statthalters in der Hauptstadt passte wesentlich besser zu ihm als das Amt des Wirtschaftsministers. Gerne gab er den bayerischen Grobian. Unvergessen der Augenblick im Bundestag, als Glos sich am 24. November 2004 den damaligen Außenminister Joschka Fischer vornahm. Glos’ Tirade, dass Rot-Grün Millionen Menschenhändlern, Schwarzarbeitern und Prostituierten deutsche Visa erteile, gipfelte in dem Satz: „Sie sind dafür der Zuhälter – wenn man so will –, Herr Bundesaußenminister Fischer.“ Von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fing Glos sich einen Ordnungsruf ein, „den dritten in 30 Jahren“, wie er selbst sagt. Später entschuldigte Glos sich „zum ersten Mal im Deutschen Bundestag“. Zwar gehöre kontrolliertes Anrempeln durchaus zu seinem Stil, aber beim „Zuhälter“ sei ihm die Formulierung verrutscht.

Als Chef der CSU-Landesgruppe dirigierte Michael Glos seine Schlachten von Franz Josef Strauß’ massivem braunem Schreibtisch aus. Rechts an der Wand des Berliner Büros, das inzwischen Peter Ramsauer übernommen hat, hängt eine hölzerne Madonna. Katholischer Gottesglaube, Heimatliebe und Anständigkeit, das sind die Wurzeln von Michael Glos’ politischer Identität. In der Nachfolge von Franz Josef Strauß war die Auseinandersetzung mit den Linken immer ein wesentlicher Antrieb. „Joschka Fischer hat ihm gestunken“, sagt Wolfgang Bötsch, Vorgänger von Glos als Landesgruppenchef und späterer Postminister. An Fischer verachtete Glos die Gewaltbereitschaft, die Brüche im Leben, das Kosmopolitische. Im Dezember 1993 bezeichnete er Grüne und PDS als „größere Gefahr für das Land als Republikaner und Rechtsextremisten“. Auf dieser Überzeugung gründet auch sein wirtschaftspolitisches Credo: „Ökonomisch war 1968 ein Desaster, weil vergessen wurde, was die Basis dieses Landes war: dass wir Deutsche schneller, fleißiger und kreativer waren, dass wir uns viel mehr plagten als die anderen.“

Dabei galt für Glos immer: Bayern zuerst. Auch am Dienstag, den 8. Januar 2002. Während der traditionellen CSU-Tagung in Wildbad Kreuth bequatschte Glos Ministerpräsident Edmund Stoiber so lange, bis dieser schließlich erstmals klar seine Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur gegen Gerhard Schröder bekundete. Stoiber tendierte zwar selbst zur Kandidatur, scheute aber das Risiko der frühen Veröffentlichung. „Glos hat Stoiber fast überrumpelt, ihm den Rückzug verbaut“, urteilt Peter Ramsauer, Glos’ Nachfolger als Chef der Landesgruppe. Mit Erfolg: Merkel musste ihre Hoffnungen auf die Kandidatur zunächst fahren lassen, doch auch Stoiber scheiterte. „Glos war niemals Stoibers Knecht“, sagt Wolfgang Bötsch.

Als Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag brachte Glos Personen in Stellung, die eine ungleich größere öffentliche Wirkung erzielten als er selbst. So hatte Glos im Herbst vor Stoibers Outing schon Wolfgang Schäuble als möglichen Kandidaten der Union gegen Merkel aufgebaut, ihn dadurch verbrannt und trotzdem später als Unterstützer für Stoiber eingespannt – ein eindrucksvolles Beispiel strategischen Handwerks der Macht. Und wofür das alles? Wie Ex-CSU-Chef und -Bundesfinanzminister Theo Waigel meint, ist die Erklärung recht simpel: Durch den bundesweiten Stoiber-Wahlkampf gewann die CSU im Bundestag einige Mandate hinzu – und Glos damit zusätzlichen Einfluss auf die Bundespolitik.

Früher hatte Michael Glos Macht, nun ist er Minister. Dieser Weg war nicht seiner. Ihm schwebte so etwas vor wie der Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses. Bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD hatte er die Außenpolitik verhandelt, nicht die Wirtschaft. Aber dann stellte Edmund Stoiber ihn nachts um halb zwei telefonisch vor eine mehr oder weniger vollendete Tatsache. Weil Stoiber geruhte Ministerpräsident in Bayern zu bleiben, sollte Glos als Ersatzmann im Wirtschaftsministerium einspringen – und zwar sofort und ohne Widerrede.

In Anlehnung an das so genannte Peter-Prinzip – „in einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zur Stufe seiner Unfähigkeit aufzusteigen“ – könnte man bei Michael Glos sagen, dass er es jetzt bis zur Stufe der relativen Wirkungslosigkeit gebracht hat. Das liegt zum einen an den beschränkten Kompetenzen des Wirtschaftsministeriums. Das Haus macht wenig Gesetze, weshalb der Minister in der Öffentlichkeit oft nur als derjenige wahrgenommen wird, der Exportziffern für nahtlose Röhren und Windräder kommentiert.

Außerdem war Glos auf das Amt schlecht vorbereitet. „Er hat die Tätigkeit als Minister unterschätzt“, sagt einer, der ihn gut kennt. Als gelernter Müllermeister versteht Glos zwar etwas von praktizierter Wirtschaft, als Berufspolitiker seit 1976 kennt er das parlamentarische Geschäft, aber „eine Behörde hatte er nie von innen gesehen“, heißt es. In den Leitungsbereich des Ministerium, das Jahrzehnte in der Hand von SPD und FDP war, zog Glos mit fünf Vertrauten ein. Sich mit so wenigen Leuten einen Apparat von 1.800 Beschäftigten schnell gefügig zu machen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Erst kürzlich kam mit Staatssekretär Walther Otremba, dem ehemaligen Leiter der Telekom-Regulierungsbehörde, ein Verwaltungsspezialist, der der Glos’schen Wirtschaftspolitik neuen Drive verleihen könnte.

Fraglich, ob das reicht, den Atomkonflikt mit SPD-Umweltminister Gabriel zugunsten von Glos zu entscheiden. Über die Rechtslage sind sich die Experten weitgehend einig. „Wenn Gabriel bei seiner ablehnenden Haltung bleibt, hat Glos juristisch keine Chance“, sagt Ex-Staatssekretär Rainer Baake. Die parteiische Einschätzung desjenigen, der den Atomkonsens für das Umweltministerium ausgehandelt hat und deshalb Glos einen Erfolg nicht gönnt? Nein, auch im Wirtschaftsministerium teilt man diese Ansicht. Im Atomkonsens zwischen rot-grüner Bundesregierung und den Stromkonzernen sei im Prinzip festgeschrieben, dass der Umweltminister das letzte Wort habe.

In seinen zwölf Jahren als Hauptstadt-Chef der CSU war Michael Glos allerdings nicht dafür bekannt, dass er sich die Butter vom Brot nehmen ließ. Seine Gegner wissen das, zum Beispiel Gerd Müller, früherer Vertreter von Glos in der Landesgruppe und jetziger Staatssekretär im Verbraucherministerium. Indem Müller den EU-Verfassungsvertrag kritisierte, opponierte er gegen Glos. Der schaute sich das einige Zeit an, schaltete dann Stoiber ein und ließ über Bande dem Dissidenten mit einem schnellen Karriereende drohen. „Keiner fühlt sich von ihm hingerichtet. Es sieht immer aus wie ein saudummer Unfall“, sagt ein Beobachter.

So darf man damit rechnen, dass Glos seinem Kollegen Gabriel noch einige Probleme bereitet. Vielleicht verzögern die Stromkonzerne den Bau neuer Kraftwerke mit Billigung des Wirtschaftsministers so lange, dass der Weiterbetrieb der alten AKW unausweichlich erscheint? Glos kann warten und Vorbereitungen treffen. Wie sagt Peter Ramsauer? „Erst plant er sorgfältig den Grundriss, dann sind plötzlich die Bagger da.“