: „Einfach rassistisch“
THEATER Ein „Grenzverbrenner“ aus Tunesien erzählt von der Suche nach der Freiheit in Europa
■ 40, kam vor 15 Jahren als „Grenzverbrenner“ aus Tunesien und lebte hier jahrelang in einem Flüchtlingslager.
taz: Herr Ben Ammar, Ihr Theaterstück „Hurria“ – zu deutsch: „Freiheit“ – erzählt aus der Perspektive eines „Grenzverbrenners“. Aber was ist das genau?
Riad Ben Ammar: Wenn du die Grenze verbrennst, heißt das: Du hast eine kleine Revolte gegen das Gesetz gemacht. Ich zum Beispiel bin mit einem Visum hierher gekommen und habe dann meinen Pass verbrannt, um hier zu bleiben.
Wovon handelt Ihr Theaterstück?
Es geht mir um die tunesische Revolution. Mehr als 40.000 junge Leute, die unter einer Diktatur gelebt haben, verließen seither das Land, Tausende landeten als Flüchtlinge auf Lampedusa. Sie haben die Freiheit gespürt, sie entschieden sich, Europa endlich mal zu sehen. Ich fordere Bewegungsfreiheit für diese Menschen, damit wir unsere Länder entwickeln können. In Tunesien erlebten wir Europa, aber wir dürfen es nicht sehen. Ich will, dass nicht immer nur über Wirtschaftsflüchtlinge geredet wird.
Wann kamen Sie hierher?
Ich bin seit 15 Jahren in Deutschland, habe acht Jahre lang in einem Flüchtlingslager in Mecklenburg-Vorpommern gelebt, mit einer Duldung. Ich habe mich immer gefragt: Warum habe ich das alles akzeptiert, warum bin ich nicht nach Hause zurückgekehrt? Ich habe zehn Jahre gebraucht, um ein Ausreisevisum aus Tunesien zu bekommen. Als ich es hatte, sagte meine Familie: Hey, Riad, du wirst es doch schaffen und nicht nach zwei Monaten wieder zurückkommen, oder? Man erliegt dem Druck. Erst recht, wenn man sein Leben riskiert, um nach Europa zu kommen.
Wann waren Sie denn zuletzt in Tunesien?
Vor zwei Wochen. In letzter Zeit war ich öfters da, als Aktivist von Afrique-Europe-Interact. Seit fünf Jahren habe ich hier eine Aufenthaltserlaubnis.
Ist „Hurria“ auch ein Stück gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex?
Es ist ein Stück gegen den Krieg gegen Migranten, der im Mittelmeer stattfindet. Das Recht zu migrieren, ist ein universelles Recht. Europa verhält sich da einfach rassistisch. Interview: Jan Zier
20 Uhr, Kultureinrichtungshaus Dete, Lahnstraße 61-63