Schönheit auf Rädern

Der Wettbewerb „beauties in motion“ soll Fotomodellen im Rollstuhl den Karriereweg ebnen – und damit auch ein Stück medialer Normalität herstellen. Beim Finale am Montag in Hannover spielten die Räder schon für einen Abend die ihnen zugedachte untergeordnete Rolle

Gedränge in der Umkleidekabine, die Assistenten eilen. Models umringt von Visagisten, Maskenbildnerinnen und Friseuren. Die Haarspange muss raus, nein, die Strähne nicht, Lockenwickler, toupiertes Haar, Spray, begleitet von Anweisungen der Haarstylisten, „eine ganz wilde Hochsteckfrisur für Josephine Opitz“. Die Schülerin der zwölften Klasse sitzt in ihrem Rollstuhl und grinst. Schon die Generalprobe war für sie unbeschreiblich: „So viele Eindrücke, die auf mich einstürmten, die Kameraleute, das alles werde ich wohl erst heute Nacht verarbeiten.“

„Beauties in motion“ ist Deutschlands Wettbewerb für Models im Rollstuhl. 170 Menschen zwischen 18 und 40 Jahren bewarben sich auf die Ausschreibung im Internet. Eine Jury wählte vorab 16 Kandidaten aus. Nicht alle haben eine Chance: Behinderte mit spastischen Lähmungen fallen zum Beispiel sofort raus. „Bei einer normalen Misswahl haben Bewerber die ein Meter sechzig groß sind und 70 Kilo wiegen auch keine Chance“, verteidigt sich Veranstalterin Renate Weidner. Sie findet es „wichtig, dass Menschen im Rollstuhl in der Werbung eingesetzt werden und in den Medien insgesamt präsenter sind“. Weidner hat alle 16 Kandidaten zu Hause besucht und ihre Ausstrahlung, Offenheit und kommunikativen Fähigkeiten begutachtet. Elf hat sie zum Finale eingeladen. Bedenken, dass sich durch die Veranstaltung auch Behinderte verstärkt einem Schönheitsideal unterwerfen könnten, hat Weidner nicht: „Machen wir uns doch nichts vor: Jemand im Rollstuhl entspricht einfach nicht dem Ideal.“

Es wird eng im Zuschauerraum des GOP-Varietétheaters in Hannover. Aufgeregt wirft Katrin Schwarz, Miss Deutschland International der Nicht-Behinderten, noch einen Blick hinter den Vorhang. Sie hat die Choreografie kreiert. Dafür hat sie sich eigens in einen Rollstuhl gesetzt, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Bewegungsmöglichkeiten die Models auf der Bühne haben. „Ich bin heute aufgeregter als bei meinen eigenen Auftritten“, sagt sie. „Wir hatten ja nur zwei Tage Zeit für Proben.“

Discobeat setzt ein. Die Models kommen auf die Bühne gerollt und sind sofort in ihrer Performance. Das Publikum jubelt. Die Models tragen ein lockeres Freizeitdress, überwiegend in den Herbstfarben, Brauntönen und dunklem Blau gehalten. Sie tanzen mit den Oberkörpern und zeichnen Figuren mit den Armen und Händen.

Am Seitenrand der Bühne sitzt an runden Tischen mit Kerzenlicht die sechsköpfige Jury, darunter Bruce Darnell, ein Choreograf und Model-Trainer, sowie der Werbefotograf Konstantin Eulenburg. „Es kommt mir so vor, als ob hier überhaupt keiner behindert ist“, sagt Darnell. „Alle sind ganz normale Menschen. Sie lieben Sport, reden über Liebe und Leidenschaft. Mich beeindruckt der Optimismus in ihrem Leben.“ Entscheiden will er nach dem Charakter, der Leidenschaft und danach, wie sie mit ihrem Schicksal umgehen.

Lässig dribbeln Mark Kuchynka und Patrik Richter einen Basketball über die Bühne. Mark hat ein breites Kreuz. Der angehende Mechatronikstudent trainiert auch Speerwurf und möchte 2008 bei Olympia dabei sein.

Die nächste Show-Einlage füllen Jelena Zdravhovic und Christian Riedel hingebungsvoll. Sinnlich flirten sie zu der Liedzeile „… das alles ändert nichts daran, dass du mir so sehr fehlst …“. „Gänsehaut pur“, kommentiert Werner Buss.

Mit den Gewinnern des letzten Jahres wurde ein Erotik-Kalender erarbeitet. Die Rollstühle waren auf den Fotos nur am Rande zu sehen. „Das ist auch so gewollt,“ erklärt Ralph Büsing, ebenfalls Veranstalter und Mitarbeiter des Behindertenmagazins Partizip. „Zu oft werden wir auf den Rollstuhl reduziert“, sagt er, „aber der Rollstuhl begleitet uns ja nicht den ganzen Tag, besonders wenn es leidenschaftlich und sinnlich wird, spielt er keine Rolle und das wollen wir ausdrücken.“

Im zweiten Teil des Abends präsentieren sich die Models in Abendgarderobe. Lange Satinkleider und Seide sind zu sehen. Carolin Hartmann trägt jetzt ein Kleid in tiefem Rot. Es ist über dem Dekolltée geschlossen, jedoch schulterfrei. Eine Stoffrose, ebenfalls tiefrot, schmückt den Hals. Ihr Haar ist schwarz wie Ebenholz. Carolin studiert Jura und auf die Frage nach ihrem letzten Abenteuer antwortet sie entwaffnend knapp: „Fallschirmspringen.“

Zu ihrer eigenen Überraschung ist sie es, die die Jury im nahezu ausverkauften Saal zur Siegerin kürt. „Wenn ich etwas zeigen wollte, dann, dass der Rollstuhl eigentlich gar nichts ist – alles andere steht drüber. Es ist der Moment der zählt.“ Der männliche Sieger Patrick Richter möchte mit seiner Teilnahme Menschen die Scheuklappen nehmen. „Sie sollen sehen, dass ein Rollstuhl nicht zwangsläufig etwas Negatives ist.“MEIKE KLOIBER