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Archiv-Artikel

Die goldenen Zeiten noch vor sich

STRANDKORB Wer glaubt, die preisgünstigere Strandmuschel könnte ihm den Rang ablaufen, der irrt gewaltig. Tatsächlich hat das Korbgeflecht als Prototyp des deutschen Erfindungsreichtums seine besten Zeit immer noch vor sich

VON E. F. KAEDING

Er durchlebte die industrielle Revolution, zwei Weltkriege, den Kalten Krieg, die Ost-West-Teilung. Der Strandkorb ist Urlaubserinnerung lauwarmer Sommerabende und Kultobjekt deutscher Gemütlichkeit. Unverändert prägt er seit über einem Jahrhundert das hiesige Strandbild: Als Prototyp eines ausgereiften Erfindungsreichtums, durch den man die Sonne auf den Bauch und das Sandkorn nicht in die Hose bekommt. Aber ist der Strandkorb noch zeitgemäß?

Wer glaubt, die billige Strandmuschel könnte ihm den Rang ablaufen, der irrt. Tatsächlich liegt seine erfolgreichste Zeit noch vor ihm. Als „kleine Trauminsel“ wird er beworben. Dechiffriert heißt das: Jeder ist seines Luxus’ Schmied. Vorausgesetzt, er kann sich die Kurtaxe leisten oder hat ein kleines Vermögen im vierstelligen Bereich übrig für die eigene „Sitz-Insel“. Diese Klassen-Bürde ist in die Geschichte des Strandkorbes quasi eingeflochten: 1882 betrat eine adlige Dame die Werkstatt des Hof-Korbmachers Wilhelm Bartelmann in Rostock.

In den trüben Wintermonaten plagten Elfriede von Maltzahn ihre rheumageplagten Glieder, es war Frühling und bald würde Sommer sein. Dann wollte von Maltzahn an den Strand. Sie beauftragte Bartelmann, ihr eine Sitzgelegenheit als Schutz vor zu viel Sonne und Wind zu fertigen. Aus Weiden machte Bartelmann ihr einen exklusiven Strandstuhl. Seine Ehefrau scherte sich nicht um die Neider, die den Geistesblitz ihres Mannes als „aufrecht stehenden Wäschekorb“ verhöhnten, und eröffnete am Warnemünder-Strand den ersten Verleih. Bald stand der Strandkorb an der Küstenlinie von Schleswig-Holstein bis nach Ostpreußen und wurde deutsches Kulturgut. Fontane schrieb von den „Korbhütten“, in denen sich die Strandluft genießen ließ, Tucholsky schwärmte von seinem „herrlichsten Arbeitsplatz“ in den keine Störung hineindränge, nur das sanfte Branden des Wassers. Heinrich Heine taufte die „Badekutschen, die Droschken der Nordsee“.

Heute stehen mehr als 70.000 Körbe an den Stränden der Nord- und Ostsee. Das Verkaufsgeschäft läuft prächtig. Nur einmal, Mitte der 2000er, knickten die Zahlen kurz ein, als chinesische Importe auf den Markt drängten. Die Kunden hätten den Qualitätsunterschied aber erkannt und damit vor allem die Langlebigkeit eines originalen Produkts, sagt die hiesige Branche selbstbewusst. Sind die Strandmuscheln, die es für einen Bruchteil an Geld gibt und ebenfalls „effektiven Schutz vor Sonne, Wind, Regen und Sandflug“ versprechen, eine ernstzunehmende Konkurrenz für das Gewerbe? Nein, sagt Benjamin Trautmann von der Firma „Sylt-Strandkörbe“ in Rantum. Denn der Trend der vergangenen Jahre war eindeutig: Die meisten der 1.500 Körbe, die seine Firma jedes Jahr verkauft, landen nicht am Strand sondern im Garten. Als eine konservierte Erinnerung an den Urlaub am Meer, dauerhaft etabliert im heimischen Umfeld oder in den Schweizer Bergen – von dort kämen die meisten Kunden, so Trautmann. Der Strandkorb ist aber auch ein Exportschlager. Er geht nach Australien, Südafrika und in die USA. Aus Aserbaidschan kam jemand gleich mit einem eigenen Lastzug und nahm 20 Körbe mit.

Seit einiger Zeit gibt es auch ausgefallenere Modelle: aus hochwertigem Teakholz für den Premiumkunden, eine Lounge-Ausführung für sechs Personen mit einem Tisch in der Mitte und Heizung, eine Miniversion für den Hund – oder ein Geflecht mit eingebautem Möwengezwitscher. Sogar im berühmten Londoner Edel-Kaufhaus Harrod’s stehen sie zum Verkauf.

Die Zukunft für das deutsche Kulturgut sieht rosig aus. Das sieht auch Marcus Bade so. Er hat seine Strandkörbe am Timmendorfer Strand und in Scharbeutz aufgestellt und sie für die Smartphone Generation mit WLAN-Hotspot ausgestattet. Denn das Urlaubsverhalten habe sich verändert, sagt er. Überall seien die Leute dauergestresst. Die Leute wollen jetzt schnell mal raus – und ohne viel Aufwand bei einem Tagesausflug entspannen. Verglichen mit einer Ägyptenreise sei die Kurtaxe an die Ostsee immer noch ein Schnäppchen.

Der 132 Jahre alte Luxusliner aus Weidengestrüpp zeigt kaum Alterserscheinungen. Tatsächlich nimmt er auf seiner Reise vom analogen ins digitale Zeitalter noch einmal an Fahrt auf. Man könnte seinen Passagieren versnobten Wankelmut vorwerfen, weil sie die Natur aussperren und geschützt vor Wind nur die angenehmen Aspekte des Strandurlaubs genießen wollen.

Doch auch diejenigen, bei denen heute nur leise die Knochen knacken, werden vielleicht eines Tages an Bord steigen – und froh sein, dass es ihn gibt, weil mit ihm das Sandkorn dort bleibt wo es hingehört, auf den Strand und unter die Füße.