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Archiv-Artikel

Helden mit Schuss

FERNSEHEN Warum so viele Serienhauptfiguren mit psychischen Problemen zu kämpfen haben

Nach Deutschland kommt bald „Nurse Jackie“, eine Serie über eine drogensüchtige Krankenschwester

„In letzter Zeit sind zu jeder neuen Programmsaison in den USA mindestens zwei bis drei Serien dabei, in denen psychisch angeknackste Menschen im Mittelpunkt stehen – es ist schon erstaunlich.“ Auf der weltgrößten TV-Programmmesse Mipcom in Cannes hat sich dieser Trend für Programmscout Jan Tibursky jüngst wieder bestätigt, mehr denn je eigentlich. So handelt etwa der vom US-Sender Fox produzierte Überraschungserfolg „Mental“ von einem jungen Psychiater, der seine Patienten mehr als unorthodox behandelt.

Ungewöhnlich ist auch „The OCD Project“ vom internationalen Produktionsunternehmen Eyeworks. Die Reality Show, in der Patienten mit Zwangsstörung vor laufender Kamera therapiert werden, lief diesen Sommer bereits in den USA.

Nach Deutschland kommt bald die erfolgreiche US-Serie „Nurse Jackie“, für die RTL sich die Rechte gesichert hat. Der medikamentenabhängige „Dr. House“ und der autistische „Monk“ sind dort bereits Publikumslieblinge.

Im Mittelpunkt von „Nurse Jackie“ steht eine drogensüchtige Krankenschwester. In dieselbe Richtung geht ein Pilot, den Fox letztes Jahr produzierte: „Maggie Hill“. Die Hauptfigur: eine schizophrene Chirurgin. In den Fußstapfen von „Dr. House“ und „Monk“ bewegt sich auch „Kreutzer kommt“. Der Film mit Christoph Maria Herbst lief gestern auf ProSieben und ist möglicherweise Auftakt zu einer Serie.

Laut einer aktuellen Studie der Bundestherapeutenkammer haben sich psychische Leiden seit 1990 fast verdoppelt. Der Medienwissenschaftler Hans Jürgen Wulff befasst sich schon länger mit den Themen Psychiatrie und psychisch Kranke im Film. Auch er stellt einen Wandel in den Medien fest: „Wenn man es optimistisch deutet, ist das auf eine globale Demokratisierung und Entautorisierung zurückzuführen. Bis in die 60er Jahre war der Arzt beispielsweise eine gottgleiche Autorität. Die therapeutische Begegnung wird heute zur Verhandlungssache.“

Diese Veränderung spiegelt sich in der medialen Darstellung: Während früher psychisch auffällige Menschen allenfalls als wahnsinnige Genies oder irre Gewalttäter auftauchten, werden sie heute zu Hauptfiguren mit besonderen Fähigkeiten.

Ein Meilenstein in dieser Beziehung ist „Einer flog übers Kuckucksnest“ (1975). Der Kinofilm porträtiert die Psychiatrie als menschenverachtendes System und stellt die Frage, was „normal“ ist und was „krank“. Allerdings, so Wulff weiter, gibt es auch eine pessimistische Sicht dieser Entwicklung: „In den zunehmend roher werdenden Begegnungssituationen der spät- beziehungsweise der postkapitalistischen Verhältnisse kommt es vermehrt zu Belastungsstörungen mit imaginären Antworten auf eine als zu hoch empfundene Belastung.“ WILFRIED URBE