: Kleine Gemeinheiten
Die taz ist eine kritische Tageszeitung, die keine Kompromisse macht, auch nicht mit der eigenen Klientel. Das finden alle gut – solange es andere trifft. Aber wehe, man gerät selbst in die Kritik
Von Klaus Wolschner
Zeitung machen ist immer dann besonders dankbar, wenn man LeserInnen-Interessen direkt bedienen kann. Straßenfest mit Würstchen-Grill? Gerne, mit Foto. Die Siegerehrung für den Sponsoren-Lauf der Gesamtschule? Mindestens vierspaltig, aber der Chef der örtlichen Sparkasse muss aufs Bild, denn der will den Rest beisteuern. Wer steht nicht gerne in der Zeitung!
Die taz verkneift sich solche kommunikativen Leser-Blatt-Bindungen, auch im Lokalen (meistens). Die Leserin hat dafür viel Verständnis – es sei denn, sie selbst oder die Nachbarin ist betroffen. Richtig ernst wird es aber, wenn es darum geht, LeserInnen auf die Zehenspitzen zu treten. Anzeigenkunden, das ist bekannt, rufen gern an und stellen Fragen, wenn sie in der Berichterstattung schlecht wegkommen. Andere Betroffene outen sich als „treue Leser der ersten Stunde“, die doch bitte mehr Verständnis für ihre Interessenlage erwarten könnten.
Die Bremer taz hat in ihrer 20-jährigen Geschichte immer wieder vor der Frage gestanden, wie weit die sprichwörtliche „Pressefrechheit“ auch die so genannte eigene Klientel treffen darf.
Zum Beispiel der „Villenschreck“: Im Frühsommer 1986, kurz vor dem geplanten Erscheinen der täglichen Lokalseiten, schreckte ein besonders gemeiner Einbrecher die Schwachhauser Bürgervillen. Mit Vorliebe am mittleren Nachmittag, wenn die Herren der Schöpfung noch Geld ranschaffen mussten und die Damen gemütlich beim Tee zusammensaßen, die Terrassentür auf und das Kaminfeuer an, kam „er“ durch den Garten herein, klopfte nicht an. „Geld und Juwelen“ forderte er ultimativ, und wenn die Dame des Hauses meinte, sie habe da nichts, dann konnte auch schon mal ein brennender Kaminscheit dem Perserteppich gefährlich nahe kommen. Bild taufte den Mann, als er zum vierten oder fünften Mal zugeschlagen hatte, den „Villenschreck“, und die Polizei jagte ihn wochenlang vergeblich: Offenbar kannte er sich gut aus in den Schwachhauser Seitenwegen, und er floh mit dem Fahrrad. Dennoch wurde er verhaftet – die Polizei hüllte sich in Schweigen, wer ihr da ins Netz gegangen war.
Zwei Tage später stand es in der taz: Der Villenschreck ist ein Grüner! Ein Mann, der im Wahlkampf Tag für Tag am Büchertisch gedient hatte, engagiert für die gute Sache. Die Klunker der Schwachhauser Damen fanden sich in einem Plastikeimer zwischen den Utensilien für den grünen Wahlkampf. Das fanden viele nicht lustig, dass ausgerechnet die taz den Boten für diese Nachricht spielen musste.
Keine acht Wochen später kam Alice Schwarzer in die Stadt, damals die größte Feministin im frauenfeindlichen Lande. Die taz erschien bereits täglich mit Bremer Lokalteil, das war also ein Muss. Eine typisch kritische Bremer taz-Mitarbeiterin besuchte die Veranstaltung, kam zurück, fand das alles irgendwie kritisch. Kritikwürdig. Darf eine Rezensentin ihre Meinung schreiben? Die taz bremen meinte: Sie darf. Und zwei Nächte später prangten die ersten Sprüh-Parolen an der Wand des neuen taz-Büros: „taz – frauenfeindlich“. So wussten nicht nur die Grünen, sondern auch die Frauen-Aktiven schon früh, woran sie mit der Bremer taz waren. Einige nettere Berichte folgten – verpackte Friedensangebote.
Es muss mehrere Jahre später gewesen sein, als das Verhältnis der taz zu einer ganz anderen Szene im Raum stand: Der Bremer Anzeiger hatte die Kleinanzeigen des horizontalen Gewerbes rausgeworfen, und die Damen standen bei der taz auf dem Flur mit der Frage, ob dieses Medium, das eine Zensur ja bekanntlich auch bei Kleinanzeigen ablehnte, nicht ihre berechtigten Kommunikationsinteressen befriedigen könnte. Beim Bremer Anzeiger waren die Damen nach allen Regeln der Kunst abgezockt worden, eine Sex-Anzeige kostet sogar pro Millimeter noch mehr als eine Todesanzeige, da verdient man gerne mit. Sogar ein fairer Preis wäre für die Bremer taz eine Goldgrube gewesen, das war sofort allen klar. Und außerdem ging es ums Prinzip: Wo fangen wir an, Kleinanzeigen zu zensieren? Ist Prostitution frauenfeindlich? Eher nicht. Ist es ein Gewerbe wie manche andere?
Aus Prinzip war eigentlich alles klar. Nur die LeserInnen, was würden die sagen, wenn die neunjährige Tochter am sonntäglichen Frühstückstisch die taz ihrer geliebten Eltern aufschlägt und fragt. „Maaama, was ist das?“
Kurz, wir haben uns nicht getraut. Der Anzeiger hat dann irgendwann das Geschäft wieder übernommen und die Kleinanzeigenfreiheit gerettet.