: Hausbesuch
Empört über den Bericht zum Brokdorf-Prozess verwüsteten Leser die taz-Redaktionsräume
von HILMAR ZSCHACH
Die Kulturredakteurin sah hinreißend aus. Doch statt die Chance zu nutzen und schützend den Arm um ihre Schultern zu legen, hatte ich nur Angst vor den ungebetenen autonomen Gästen, die gerade dabei waren, die Redaktionsräume zu zerlegen.
Anlass des am Ende nur gegen Sachen gewalttätigen Besuches war ein Kommentar, den ich zu einem Strafverfahren um das Kernkraftwerk Brokdorf geschrieben hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren gefordert, weil zwei Demonstranten mit einem Spaten auf einen Polizeihelm geschlagen haben sollen. Der Prozess und auch die Berichterstattung wurden in einer aufgeregten Atmosphäre geführt. Der Atomstaat und seine Gegner stießen symbolhaft und wirklich aufeinander. Ich hatte den hohen Strafantrag kritisiert, aber auch das krawallige Verhalten vieler Zuschauer während der Verhandlung und schrieb: Ich hätte härter durchgegriffen als die Richter.
Einige taz-Leser ließen sich nicht zweimal bitten und zeigten bei ihrem Hausbesuch in ihrem Laden, was sie noch so drauf hatten. Viele ihrer Leser hätten die taz damals gerne als Sprachrohr der Bewegung gesehen. Sie konnte aber bestenfalls ein Hörrohr in die Bewegung hinein sein, wollte sie eine linke radikale Zeitung bleiben. Wäre unsere Kritik bei Springer erschienen, hätte sie bei den Betroffenen höchstens Achselzucken hervorgerufen.
Die Wut wuchs aus der Nähe und der Enttäuschung. Bei Brokdorf oder in der vergleichbaren Berichterstattung zur Hafenstraße und ihre umkämpften Häusern konnten Autonome oder ähnlich Bewegte von der Hamburger Presse nicht enttäuscht werden. Die Vorurteile wurden dort ständig bestätigt. In der Hamburger Presse gab es in den grundlegenden politischen Fragen praktisch nur eine Meinung. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die (Berliner) taz zeigte sich als liberales Blatt. Sie druckte den Kommentar aus dem Hamburg-Teil am nächsten Tag in der Gesamtausgabe komplett nach.
Auch die Hamburger Kollegen erwiesen mir eine persönliche Solidarität, die ich bis zum heutigen Tag dankbar spüre. Das war für die Kollegen nicht ohne. Denn die meisten teilten meine Auffassung nicht. Ich hatte ein halbes Jahr vorher als Redakteur gekündigt, nachdem ich einen ähnlichen Kommentar nicht hatte schreiben dürfen. Über so etwas stimmte damals ein Plenum ab.
Und nun solidarisierten sie sich mit mir. Die Erfahrung mit den autonomen und anderen ähnlich verärgerten Lesern trugen zum freiheitlichen, ja eigentlich liberalen Denken bei. Diejenigen, die wie ich mit der taz erwachsen wurden, sprechen deshalb gelegentlich vom Blättchen, in Anlehnung an die großen Kollegen bei der Weltbühne. Auch sie sprachen vom Blättchen, wenn sie sich wehmütig erinnerten.
Die Kulturredakteurin wird jetzt 50. Was man ihr nicht ansieht. Und vor Jugendlichen, die bei den Autonomen mitmachen, muss man weniger Angst haben, als vor denjenigen, die bereits als Schüler in Regierungsparteien eintreten.
Hinweis: Hilmar Zschach, im Gründungsjahr der taz hamburg Redakteur und Gerichtsreporter. Nach sechs Wochen kündigte er wegen thematischer Unstimmigkeiten mit dem Redaktionsplenum. Bis in die 90er freier Mitarbeiter der taz, heute bei NDR 90,3.