: Erfolgsgeschichte Mikrokredit
Kleinkredite haben sich als der sicherste Weg aus der Armut erwiesen. Trotz hoher Zinsen ist die Rückzahlquote besser als bei normalen Banken
BERLIN taz ■ Die Grundidee hinter Mikrokrediten ist ganz einfach: Viele Menschen, die kein Geld haben, brauchen einfach ein wenig Startkapital, um sich eine Existenz aufzubauen. Da traditionelle Banken Kredite nur gegen Sicherheiten gewähren, die Armen der Welt aber keine anbieten können, muss das Startkapital auf anderem Wege bereitgestellt werden: zum Beispiel durch Sparkooperativen, in die jedes Mitglied einen kleinen Betrag einzahlt und aus denen dann einzelne Mitglieder Kredite unter Aufsicht der Kooperative verwenden. Oder eben durch Mikrofinanzinstitute, wo die Ärmsten der Armen Konten eröffnen, Geld einzahlen und Kredite aufnehmen können – auf niedrigstem Niveau. Das Einzige, was die Bank von ihren Schuldnern verlangt: Sie sollen anfangen, selber Geld zu verdienen. Dann können sie aus der absoluten Armut heraustreten – und nebenbei ihren Kredit zurückzahlen.
Entgegen einem in der Finanzwelt verbreiteten Vorurteil ist die Rückzahlquote bei Mikrokrediten viel höher als im kommerziellen Bankwesen. Spekulanten können sich verdrücken – arme Dorfbewohner tun das nicht.
An Erfolgsgeschichten mangelt es nicht. In Bolivien verdoppeln Mikrokreditnehmer ihr Einkommen durchschnittlich innerhalb von zwei Jahren. In Bangladesch überwinden 48 Prozent der Haushalte mit Zugang zu Mikrokrediten die absolute Armutsgrenze. In Tansania schicken Familien, die Mikrokredite bekommen, ihre Kinder viel seltener zum Arbeiten. Auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen des Alltags kann sich das Leben verbessern, sobald Zugang zu Kapital vorhanden ist.
Der Nachteil: Die Zinsen für Rückzahlungen sind meist viel höher als bei kommerziellen Banken. Es kostet eine Bank mehr, tausendmal 200 Dollar zu verleihen, als einmal 200.000. Die Kunden werden dadurch aber nicht abgeschreckt: Private Kredithaie sind noch viel teurer und unberechenbarer. Auch ist nicht jede Armutssituation für Mikrokredite geeignet. Wo Menschen oft auf Wanderschaft gehen – in instabilen Gebieten oder ökologisch sensiblen Zonen –, ist die Bindung an eine Dorfbank hinderlich für die Unternehmensplanung. Menschen im Elend, die erst mal überhaupt ernährt und medizinisch behandelt werden müssen, brauchen eine andere Art von Unterstützung.
Dennoch: Für die Milliarden von Armen in der ganzen Welt, die eigentlich die Energie und die Ideen hätten, um aus eigener Kraft voranzukommen, sind Mikrokredite der bisher beste Weg zum Aufstieg aus der Armut. Von bescheidenen Anfängen in den 70er-Jahren ist das Mikrokreditwesen ständig gewachsen; rund 200 Millionen Menschen sind heute weltweit in Mikrokreditsysteme integriert. Die Grameen-Bank in Bangladesch war da Vorbild und Vorreiter.
Aus Sicht von Gebern und Regierungen sind Mikrokreditsysteme kompliziert und umständlich – gerade weil sie flexibel auf die besonderen Bedürfnisse einzelner Personen eingehen können. Einheitliche Regulierungssysteme gibt es nicht. Und neuerdings, vor allem seit dem von der UNO ausgerufenen „Jahr des Mikrokredits“ 2005, wird intensiv über die Weiterentwicklung des Sektors nachgedacht.
So wird der Mikrofinanzbereich allmählich weiter gefasst, um auch ganz normale Bankleistungen anbieten und Mittelstandsförderung betreiben zu können, wie das hiesige Sparkassen tun: Unterschiedliche Arten von Sparkonten, größere und nicht nur kleinster Kredite, die Finanzierung von Unternehmensplänen. Die ursprünglich in Deutschland für exsozialistische Transformationsländer konzipierten Procredit-Banken, die kleine und mittelständische Unternehmer in Osteuropa und Afrika fördern, stoßen in diese Marktlücke. Um nicht nur Einzelpersonen, sondern ganzen Ländern die Armutsbekämpfung zu erleichtern, braucht man nicht nur funktionierende Mikrofinanzsysteme, sondern ein funktionierendes Finanz- und Rechtssystem insgesamt.
Dass in Ländern mit großer Armut jetzt über solche Dinge diskutiert wird, ist ein Verdienst der Mikrokreditinitiativen. Sie haben den ersten Schritt getan. Die Grameen-Bank und ihre Nachahmer werden ihre Ziele komplett erreicht haben, wenn sie sich selbst überflüssig gemacht haben. DOMINIC JOHNSON