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Archiv-Artikel

Nebeneffekt Abschiebung

Mit der Einführung von Schulregistern werden erstmals auch Kinder erfasst, die illegal in Deutschland leben und zur Schule gehen. Für sie wächst die Gefahr der Ausweisung

Nach geltendem Strafrecht macht sich jeder strafbar, der einem „illegalen“ Ausländer Beihilfe leistet

In Hamburg ist derzeit eine aufgeregte politische Debatte im Gang. Sie dreht sich um Familien oder auch einzelne Eltern, die illegal in Deutschland leben und deren Kinder in Hamburg die Schule besuchen.

Die Stadt Hamburg hat ein Schulregister eingeführt, mit dem die Einhaltung der Schulpflicht überprüft werden soll. Dieses Schulregister soll verhindern, dass Kinder in Zukunft unbemerkt verwahrlosen. Anlass dazu gab der „Fall Jessica“, der im vergangenen Jahr bundesweit Schlagzeilen machte. Das sechsjährige Mädchen wurde von seinen Eltern derart vernachlässigt, dass es schließlich verhungerte.

Prinzipiell ist das Schulregister eine gute Idee. Zu seinen Nebeneffekten gehört allerdings auch, dass damit auch erstmals jene Kinder erfasst würden, die ohne aufenthaltsrechtlichen Status zur Schule gehen. Wenn aber staatliche Stellen – insbesondere die Innenbehörde – auf sie aufmerksam werden, dann wächst die Gefahr, dass sie abgeschoben werden. Kirchen, Gewerkschaften, Flüchtlingsorganisationen und Pädagogen wie auch Politiker von GAL und SPD befürchten daher, dass sich viele betroffene Eltern in Zukunft dafür entscheiden könnten, ihre Kinder gar nicht mehr zur Schule zu schicken. Sie fordern eine Lösung, die den Schulbesuch dieser Kinder nicht gefährdet. Zudem fordern sie die Schulleiter auf, Schüler ohne Aufenthaltsstatus nicht an das neue Schülerregister zu melden.

Zwar gibt es keine genauen Angaben zu der Zahl der Kinder, um die es dabei geht. Doch Insider gehen gegenwärtig von etwa hundert betroffenen Schülern aus, denn zumindest einige Hamburger Schulen haben bislang auch Kinder ohne aufenthaltsrechtlichen Status aufgenommen.

Konservative Politiker, aber auch Teile der SPD pochen nun auf die strikte Einhaltung des Schulregisters und plädieren für strafrechtliche Sanktionen gegen Schulleiter, die Illegale an ihrer Schule aufnehmen. Robert Kusch, bis Frühjahr noch CDU-Justizsenator Hamburgs und seitdem Begründer der neuen Partei Heimat Hamburg, spricht sogar von schwerwiegendem Gesetzesbruch, wenn illegal hier lebende Eltern ihre Kinder zur Schule schicken.

Illegale Einwanderung ist ein komplexes Thema und die Debatte darüber längst überfällig. Doch will man sich ernsthaft damit auseinander setzen, sollten bestimmte Prämissen in Betracht gezogen werden. Erstens gibt es illegale Einwanderer in allen Industrienationen, und ihre Situation ist in allen Staaten vergleichbar. Sie werden regelmäßig ausgebeutet und besitzen keine Krankenversicherung; viele werden Opfer von Menschenhandel und mafiösen Organisationen. Sie haben selbst keine Rechte, tragen aber zum gesellschaftlichem Wohlstand ihrer Aufnahmeländer bei: Eine kürzlich veröffentlichte Studie einer spanischen Großbank etwa hat aufgezeigt, dass Spanien von seinen illegalen Einwanderern wirtschaftlich stark profitiert.

Zweitens: Illegale Einwanderung, auch das sollte bei diesem Thema die Grundlage jeder Diskussion sein, wird es in fortschrittlichen Industrienationen immer geben. Einer offenen Gesellschaft kann und wird es nicht gelingen, sie jemals vollständig zu unterbinden. Doch die prekäre Situation illegaler Einwanderer ist in Deutschland bis heute noch kein ernsthaft diskutiertes Thema der Politik gewesen. Bekannt ist nur, dass sich in Deutschland etliche Ausländer illegal aufhalten. Statistische Erhebungen über ihre genaue Zahl aber gibt es nicht.

Es ist bedauerlich, dass sich die Debatte in Hamburg nun ausschließlich auf die Situation der Kinder konzentriert und diese letztendlich damit zu Leidtragenden macht. Dabei werden diese Kinder nicht wirklich als eigenständige Personen mit eigenen Rechten wahrgenommen.

Denn mit der Ratifizierung diverser Menschenrechtsabkommen hat sich Deutschland dazu verpflichtet, allen Kindern und Jugendlichen in seinem Land das Recht auf Schulbildung zu garantieren. Welche Staatsangehörigkeit ein Kind besitzt oder welchen Aufenthaltsstatus es hat, ist dabei irrelevant – auch nach der UN-Kinderrechtskonvention, zu deren Einhaltung sich Deutschland verpflichtet hat, was von staatlichen Stellen – auch der Bundesregierung – regelmäßig betont wird.

Leider steht das aktuelle deutsche Ausländerrecht in einem Spannungsverhältnis zu dem Recht eines jeden Kindes auf Schulbesuch. So verlangt das deutsche Ausländerrecht von öffentlichen Stellen, ihrer Informationspflicht nachzukommen: Sie haben die Ausländerbehörden darüber in Kenntnis zu setzen, wenn sich ein Ausländer illegal auf dem Gebiet der Bundesrepublik aufhält.

Auch Schulen unterliegen einer Informationspflicht: Sie haben schon jetzt – ob mit oder ohne Schulregister – die Ausländerbehörden über den Schulbesuch eines Kindes ohne Aufenthaltsstatus zu informieren. Schulleiter, die die Ausländerbehörden nicht über solche Fälle an ihrer Schule in Kenntnis setzen, können sich in Deutschland strafbar machen. Denn nach geltendem Strafrecht macht sich jeder strafbar, der einem Ausländer beim „unerlaubten Aufenthalt in der Bundesrepublik“ Beihilfe leistet.

Manche Politiker plädieren für strafrechtliche Sanktionen gegen Schulleiter, die Illegale aufnehmen

Mit strafrechtlicher Verfolgung sehen sich deshalb all jene Personen konfrontiert, die illegalen Flüchtlingen oder anderen Menschen ohne Aufenthaltsstatus in deren Not ihre Unterstützung anbieten: Dies trifft etwa auf Mitarbeiter kirchlicher oder nichtkirchlicher Organisationen zu, aber auch auf Mitarbeiter von Krankenhäusern, Kindergärten oder Jugendämtern. Diese stehen regelmäßig vor dem Dilemma, sich zwischen der Not dieser Menschen und den Anforderungen des deutschen Strafrechts entscheiden zu müssen. Zwar ist es bei Personen, die in diesen Bereichen arbeiten, bislang noch zu keiner strafrechtlichen Verurteilung gekommen. Wohl aber gab es schon Ermittlungsverfahren, etwa gegen Mitarbeiter des Jugendamts in Köln und in einem spektakulären Fall sogar gegen einen Pfarrer, der in seinem „Wort zum Sonntag“ in der ARD gesagt hatte, dass das Gebot der Nächstenliebe die Hilfe für illegale Einwanderer verlange.

Letztendlich wurden alle diese Verfahren eingestellt. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, dass es zur ersten Verurteilung kommt. Denn auf Bundesebene blieben bislang alle Gesetzesinitiativen erfolglos, die darauf zielten, bestimmte öffentliche Stellen von der Meldepflicht nach dem Aufenthaltsgesetz herauszunehmen und die strafrechtlichen Vorschriften zu entschärfen. Auch die Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Ausländer, über die im November bei der nächsten Innenministerkonferenz entschieden werden soll, wird keine Verbesserung bringen. Denn illegale Ausländer werden von dieser Regelung nicht betroffen sein.

So bleiben viele Menschen weiterhin von Strafe bedroht, deren Handeln doch eigentlich dazu beiträgt, dass Humanität in unserer Gesellschaft nicht nur eine allseits geforderte Tugend ist, sondern tatsächlich gelebt wird. HENDRIK CREMER