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Archiv-Artikel

Überwachung im Hinterkopf

KRITIK Internetfreiheit? Bei der NSA-Affäre geht’s um Freiheit überhaupt, sagten Hacker Jacob Applebaum und Grünen-Politiker Christian Ströbele

VON SVENJA BEDNARCZYK

Wie radikal darf der Kampf gegen Überwachung sein? „Oft werde ich gefragt, warum nicht mehr Menschen auf die Straße protestieren gehen“, sagt der prominente Hacker Jacob Applebaum. „Wenn du auf die Straße gehst, wirst du zum Zielobjekt der Überwacher.“

Widerstand könne verschiedene Formen annehmen. Der Chaos Computer Club deckt staatliche Überwachungstechnik auf, Applebaum selbst arbeitet an einer anonymen Surfmöglichkeit, dem „Tor-Projekt“. Auch Kunst kann sich gegen Überwachung richten. Trotzdem bewegen sich die Protestformen oft am Rande des Legalen oder überschreiten diese Grenze.

„Solidarität ist machbar“ lautete das Untermotto des diesjährigen taz.lab. Gerade in der Auseinandersetzung zur Überwachung sei Solidarität angebracht, sagte Applebaum auf dem Panel „Ziviler Ungehorsam im Netz“, einer der vier großen Diskussionen zum Thema digitaler Widerstand am Wochenende im Haus der Kulturen der Welt. Netzaktivisten drohen Verfolgung, Repression und hohe Strafen – wie der WhistleblowerIn Chelsea Manning, die im Gefängnis sitzt. Wie auch Julian Assange, dem die Auslieferung an die USA droht, oder Edward Snowden, der im russischen Exil lebt.

Diese Beispiele sorgen auch bei der deutschen Hackerszene für Besorgnis, sagt Constanze Kurz, Pressesprecherin des Chaos Computer Clubs. Zwar werden Hacker nicht so kriminalisiert, wie es in Großbritannien der Fall ist, sagt sie, doch vor großen Aktionen überlege man im Hackerclub nun – im Gegensatz zu vergangenen Jahren –, auch einmal einen Anwalt zu kontaktieren, um sich rechtlich abzusichern.

Doch nicht nur bekannte Aktivisten sind vorsichtiger geworden. Jugendliche fragten den grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele, ob ihre Liebesmails nun mitgelesen werden. „Fast jeder habe die Überwachung im Hinterkopf“, sagt der berühmte Grüne aus Berlin-Kreuzberg. Es fände eine Selbstzensur in den Köpfen der Menschen statt, dies sei „eine Verhunzung der gesellschaftlichen Kommunikation.“

Die Zürcher Mediengruppe Bitnik sucht die Kommunikation zu den Überwachern. Im Sommer 2012, wenige Wochen vor den Olympischen Sommerspielen, hackte sie Überwachungskameras in London. Mit einem Sender kontrollierten sie die Bildschirme, schickten ein Bild eines Schachbretts den Überwachern und forderten sie zum Spielen auf. „Das Internet ist unsere Spielwiese“, sagt Carmen Weisskopf, „und wir weigern uns, sie uns nehmen zu lassen.“

„Alle reden von Internetzensur, davon müssen wir wegkommen“, sagt Jacob Applebaum. Realistisch ergänzte er: „Denn die Technologie ist Teil unseres Lebens geworden.“ Deshalb sei nicht Internetfreiheit, sondern die Freiheit selbst, die es zu verteidigen gilt, egal ob sie analog oder digital sei, so der Hacker. Viel Applaus vom Publikum, das nicht nur ihm zustimmte.