Kein Plan für afghanische Frauen

Medica Mondiale kritisiert Afghanistan-Konzept der Bundesregierung: Kaum ein Wort zu Frauenrechten. Dabei sind politisch und gesellschaftlich aktive Frauen extrem gefährdet

BERLIN taz ■ Was tut die deutsche Regierung zum Schutz afghanischer Frauen? Diese Frage muss sich insbesondere das Auswärtige Amt gefallen lassen, nachdem es dem Bundestag Ende September ein Afghanistan-Konzept für die nächsten Jahre vorgelegt hat, in dem Rechte und der Schutz der Frauen kaum vorkommen. Dabei, so betont die Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, sind Frauen in Afghanistan sehr gefährdet.

Die Ermordung der Repräsentantin des Frauenministeriums in Kandahar, Safia Ahmad Dschan, im September zeige die Bedrohung, der politisch oder gesellschaftlich aktive Frauen ausgesetzt sind, erklärt Medica Mondiale. Der Bundesregierung, so der Vorwurf, sei diese Bedrohung in ihrem Afghanistan-Konzept jedoch keine Zeile wert.

„Frauen, die sich laut und öffentlich für die Interessen von Frauen einsetzen, werden terrorisiert oder exemplarisch exekutiert“, beschreibt Monika Hauser, Leiterin von Medica Mondiale, die Lage. Die Organisation betreibt in Afghanistan Projekte, die sich gegen Gewalt an Frauen und für mehr Rechtsschutz von Frauen einsetzen. Ihrer Erfahrung nach summiert sich in den letzten Monaten die Bedrohung: Offene Gewalt an Frauen, ob zu Hause oder in der Öffentlichkeit, sei an der Tagesordnung und werde nicht verfolgt, so Hauser. So sei die Dichterin Nadja Anjoman von ihrem Mann ermordet worden. Dessen Familie habe anschließend so viel Druck ausgeübt, dass er strafrechtlich nicht verfolgt worden sei, sondern im Gegenteil vollständig rehabilitiert wurde und seinen Universitätsposten zurückerhielt.

In Kandahar wurden zerstückelte Frauenleichen gefunden: Krankenschwestern und Lehrerinnen. Sie wurden getötet, weil sie Frauen waren, die sichtbar arbeiten, das ist den Taliban zuwider. In Kapisa, einer Provinz nördlich von Kabul, erhielten die Repräsentantinnen des Frauenministeriums Drohbriefe: Wenn ihnen demnächst etwas zustieße, hätten sie das sich selbst zuzuschreiben. Auch Studentinnen und Krankenschwestern wurden so eingeschüchtert.

Dass die Bundesregierung in ihrem Afghanistan-Konzept auf die besondere Gefährdungslage der Frauen nicht eingeht, ist angesichts dieser Entwicklung für Medica Mondiale nicht verständlich. Ganz anders der übergeordnete, von sämtlichen Geberländern international vereinbarte „Afghanistan Compact“, der Ziele bis 2010 formuliert: Unter anderem soll die Zahl weiblicher Lehrerinnen um 50 Prozent, die weiblicher Studentinnen auf 35 Prozent gesteigert werden. Die Erhöhung des Frauenanteils in Politik und Verwaltung ist ebenfalls ein Programmpunkt.

Solche Ziele fehlen im deutschen Afghanistan-Plan. Da Deutschland aber für den Aufbau der Polizei und des Justizwesens zuständig ist, hätte die Regierung sich hier dringend Ziele setzen müssen, so die Kritik von Medica Mondiale: Polizisten und Juristen müssten für häusliche Gewalt überhaupt erst einmal sensibilisiert werden. Die Medica-Mitarbeiterinnen vor Ort schätzen die Gewaltrate in den Familien auf 60 bis 80 Prozent. Bisher werde aber die Polizei dafür überhaupt nicht geschult, dementsprechend werde diese Gewalt gar nicht verfolgt. Auch müsse man Frauen gezielt als Polizistinnen und Juristinnen anwerben und sie im Feld häusliche Gewalt einsetzen, präzisiert Selmin Caliskan von Medica.

Das Auswärtige Amt zeigt sich angesichts dieser Kritik erstaunt: „Die Förderung der Belange von Frauen ist der Bundesregierung ein zentrales Anliegen“, sagte ein Sprecher der taz. Im Afghanistan-Konzept werde auf Bildungsmöglichkeiten für Frauen durchaus hingewiesen. Auch habe Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf seiner letzten Reise gerade weibliche Polizistinnen besucht. Doch Selmin Caliskan von Medica bleibt bei ihrer Kritik: „Es gibt ein paar Vorzeigefrauen, auch im Innendienst der Polizei“, so Caliskan. Es gebe aber kein Konzept, weibliche Kräfte in Teams einzusetzen, die bei häuslicher Gewalt in Familien einschritten. Dies aber sei notwendig. Die Bundesregierung hätte sich zu diesen Problemen konkrete Ziele setzen müssen, das sei jedoch nicht der Fall. „Mit Leuchtturmprojekten ist es nicht getan“, meint sie.

HEIDE OESTREICH