: Welcher Schatten gehört wozu?
KUNST Inspiriert von Volkskulturen aus Nordamerika und Italien, inszeniert Ulla von Brandenburg Stoffe, Filmbilder und Schattentheater. Umfassend lässt der Kunstverein Hannover mit der Ausstellung „Drinnen ist nicht Draußen“ in ihr Werk eintauchen
VON BEATE BARREIN
In sieben Akten stellt der Kunstverein Hannover die Installationen von Ulla von Brandenburg vor. Jeder Raum ist eine andere Bühne des Universums der heute 40-jährigen Künstlerin, mit Installationen von 2009 bis heute. Da hängen gesteppte Stoffrechtecke mit offenen Seitennähten wie Quilts, schwebend wie Wände. Als hätte sie die wie eine Riesin aus ihrer großen Stoffsammlung für eine riesige Decke gefertigt, ganz in der Tradition der nordamerikanischen Quilterinnen.
Die Stoffkompositionen „Wagon Wheel“ (2009) sind für die Künstlerin codierte Wegweiser durch den Raum, als letzter hängt ein gestepptes Speichenrad. Ihnen folgend mäandern wir durch die Räume, bis „The Objects“ (2009) zu sehen ist, ein Super-16 mm-Film, schwarz-weiß, ohne Ton. Hier ist von Brandenburg Regisseurin und zeigt das Gegenteil einer stofflich-greifbaren Komposition: Die Objekte entschwinden aus dem Fokus der Kamera. An Fäden gezogen.
Strippenzieherin
Die Teilnehmerin der Biennale in Venedig, 2009, der aktuellen Biennale in Sydney und einer wachsenden Zahl von internationalen Ausstellungen greift das Sujet der marionettenhaften Objekte später in „Eigenschatten I–VI“ (2013) auf. Sie lässt einen kegelförmigen Hut, einen hölzernen Klappstuhl und ein abruzzisches Schäferkostüm ihre Schatten auf blauschwarzen gefalteten Stoff werfen und bleicht den Rest wie vom Sonnenlicht aus. Auf den sechs Paneelen verbleiben schwarze Abbilder wie Teile eines fiktiven Theaterstücks, in der Größe verzerrt, an von Brandenburgs frühere Scherenschnitte erinnernd. Die Originalrequisiten sind mit Seilen unter die Decke gezogen. Welcher Schatten gehört nun wozu? Diese Dichte der Sinnesansprache berührt.
Es fühlt es sich an, als verschwinde der gewohnte Raum, als verschwimme das sinnlich-sichere Einordnen von real und fiktiv, von oben und unten, von Nähe und Ferne, von Original und Projektion. Verstärkt wird das, folgt man den vielen kulturellen, geisteswissenschaftlichen Assoziationen der Künstlerin zu ihren Werken.
In „Shadowplay“ (2013) projiziert sie ein HD-Video eines Schattenspiels auf eine Leinwand mitten in einem 5 mal 10 Meter großen Stoffzelt aus buntem Patchwork. Die Bänke davor sind für die echten Zuschauer, die den über ihre Arbeit singenden, lebensgroßen Schauspielern zusehen, beim Anziehen von aufgehängten Kostümen, beim Hantieren mit Scherenschnitten von sich selbst. Von Brandenburg hat Freude am Zitieren, hier ist sie auch Songwriterin. Sie schreibt die Texte ohne Pause fertig, auf Deutsch. „Das kann ich so nur in meiner Muttersprache.“ Es weht ein Stimmenloop durch die Architekturen.
Im Kunstverein Hannover war die Künstlerin bereits mit einer Vorhanginstallation bei „Made in Germany Zwei“ (2012) zu sehen. „Diese Ausstellung hier ist sicher eine der umfassendsten von Ulla von Brandenburg, die bisher gezeigt worden ist“, sagt Direktor René Zechlin. Sein Team und er zeichnen – er letztmalig hier, denn er wechselt im Mai ans Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen – das Bild einer Künstlerin, die viele Künste in ihrem Werk vereint und sich aller Mittel beim Transport ihrer Gedanken in die Außenwelt bedient.
Mit „Drinnen ist nicht Draußen“ hat das hannoversche Haus mit der Wiener Secession für einen monografischen Katalog zum Werk der Künstlerin kooperiert. Für Wien inszenierte von Brandenburg den – wie alle anderen – schwarz-weißen Film „Die Straße“ (2013), der in Hannover eine doppelte Entsprechung findet. Mit hellem und teilweise farbigem Stoff bespannte Rahmen formen eine verwinkelte Gasse, mit Treppen an der vermeintlichen Decke. Dabei sind wir es, die „auf der Decke“ gehen. Im Film rahmen dieselben Wände eine fiktive Straßenszene mit Dorfbewohnern ein. Als Sängerin vervielfacht die Künstlerin dafür ihre getragen hohe Stimme, legt sie allen Schauspielern in den Mund. Die Gemeinschaft, bereits durch Rituale geeint, wird zu einer Stimme.
Nach der nordamerikanischen hatte sich von Brandenburg auch von der Volkskultur Italiens inspirieren lassen und ist auch dorthin mit einem Arbeitsstipendium gekommen. Die regionalen Kostüme, Bräuche und Spuren der dort tief verwurzelten Theaterkultur flicht sie auch hier in ihr Raumwerk mit ein, wie die gefilmten „Mamuthones“ (2011), sardische Karnevalsmaskeraden und eine typische Bühne aus Astholz. Die in Paris lebende Künstlerin ist bei diesen großräumigen Herstellungen längst auf Helfer angewiesen. Damit hält sie auch konkret die Fäden in den Händen.
■ Ulla von Brandenburg: „Drinnen ist nicht Draußen“. Bis 22. 6. 2014, Kunstverein Hannover