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Archiv-Artikel

Die gewollte Inflation

FREITAGSCASINO VON ULRIKE HERRMANN Die Geldentwertung soll die US-Wirtschaft ankurbeln. Es ist die einzige Chance

Ulrike Herrmann

■ ist die wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Kürzlich erschien ihr Buch „Hurra, wir dürfen zahlen“ (Westend). Es handelt vom „Selbstbetrug der Mittelschicht“, die sich fälschlich zur Elite zählt.

Schon immer galt Inflation als das große Übel, das jede Zentralbank unbedingt zu vermeiden hat. Doch mit der Finanzkrise lösen sich diese alten Gewissheiten auf. Die US-Notenbank Fed will jetzt eine Inflation erzwingen – rhetorisch und monetär.

Schon seit August spricht Fed-Chef Ben Bernanke ununterbrochen davon, dass er eine Inflation anpeilt. Das muss und soll jeden Sparer alarmieren. Denn Geld ist ein soziales Konstrukt. Es funktioniert, solange ihm alle Vertrauen schenken. Und genau dieses Vertrauen will Bernanke zerstören – damit die Geldpolitik langfristig wieder funktioniert. Dieser paradoxen Rhetorik folgen nun Taten. Am Mittwoch hat die Fed angefangen, US-Staatsanleihen aufzukaufen, was nur bedeutet, dass man Dollar druckt.

German Angst

Man stelle sich diese Szene in Deutschland vor: Für die meisten Bundesbürger wäre es undenkbar, dass ihnen die Bundesbank gelassen erzählt, dass sie eine Geldentwertung erzeugen will. Durch die Familien tradiert sich noch immer das Grauen der Hyperinflation von 1923, als sich über Generationen vererbte Geldvermögen in nichts auflösten. Diese „German Angst“ setzte sich auch durch, als die Europäische Zentralbank gegründet wurde. In ihren Statuten ist eindeutig verankert, dass sie allein der Geldwertstabilität zu dienen hat. Vollbeschäftigung gehört nicht zu ihren Zielen.

Dennoch ist die Analyse von Bernanke richtig. Mit einer kontrollierten Inflation ließe sich die Konjunktur in den USA ankurbeln. Zumindest theoretisch, faktisch dürfte er scheitern. Doch zunächst zur Theorie: Die US-Notenbank befindet sich längst in einer Abwehrschlacht. Indem sie Staatsanleihen aufkauft, setzt sie ihr letztes Mittel ein, denn alle klassischen Maßnahmen haben versagt. So liegt der Leitzins bei 0 bis 0,25 Prozent, weiter lässt er sich nicht senken, weil es bekanntlich keine Minuszinsen gibt.

Also bleibt der Fed nur noch eine gezielte Inflation, um die Wirtschaft anzukurbeln. Kredite wären damit nicht nur billig – sie würden fast verschenkt. Die Darlehen würden sich von allein bezahlen, weil sie sich schleichend entwerten. Stimmt die Fed-Theorie, müssten die Bürger eigentlich begeistert sein und sofort zur Bank eilen, um sich mit einem Kredit ein neues Haus oder Auto zuzulegen. Doch nicht nur die kreditfreudigen Konsumenten und Investoren würden für Nachfrage sorgen. Genauso wichtig wäre eine zweite Gruppe: die Sparer. Bei einer Inflation müssten sie fürchten, dass ihre Konten an Wert verlieren. Da liegt es nahe, das Guthaben so schnell wie möglich in eine Immobilie oder einen Urlaub zu investieren. Beliebt sind natürlich auch Sachwerte wie Aktien oder Gold. Ein ganzes Volk würde also in einen Konsumrausch verfallen und die Produktion ankurbeln. Vollbeschäftigung wäre nicht mehr weit.

Doch irgendwie scheint diese Theorie nicht zu funktionieren. Nachdem die Fed am Mittwoch verkündete, dass sie Staatsanleihen aufkauft, da passierte – nichts. Die Börsenkurse stagnierten, statt nach oben zu schießen, wie es das Inflationsszenario vorsieht.

An Erklärungsversuchen fehlt es nicht. Bernanke selbst glaubt, dass sein Plan bereits sehr erfolgreich sei. Da er seit August eine Inflation ankündigt, hätten die Anleger ihre Käufe vorgezogen. Und tatsächlich sind die Aktienkurse in den vergangenen drei Monaten um zehn Prozent gestiegen. Doch ist umstritten, ob dies dem Rest der US-Wirtschaft nützt oder nicht nur eine neue Blase ist.

Nobelpreisträger Paul Krugman wiederum findet, dass Bernanke nicht entschieden genug war. Denn obwohl der Fed-Chef so hartnäckig eine „Inflation“ ankündigt, sind seine Ziele bescheiden: Ganze zwei Prozent soll die Geldentwertung im Jahr betragen. Krugman hingegen fordert fünf Jahre lang fünf Prozent – was inklusive Zinseszinseffekt eine Geldentwertung von 28 Prozent bedeuten würde. Doch vor allem scheint die Bernanke-Inflation nicht zu funktionieren, weil Gelddrucken und Geldentwertung nicht besonders eng zusammenhängen, obwohl beide Wörter mit „Geld“ anfangen. Denn an billigem Geld fehlt es nicht. Die Firmen sitzen auf riesigen Liquiditätspolstern, investieren ihr Kapital aber nicht, weil sie an Überkapazitäten leiden.

Letztes Notprogramm

Wirtschaft ist eben Psychologie: Nicht billige Kredite animieren zum Konsum, sondern ein sicheres Gehalt

Es fehlt schlicht an Nachfrage, denn viele US-Bürger sind überschuldet. Die Kosten für diese Kredite sinken vielleicht durch Bernankes Geldpolitik – aber neue Schulden dürften die meisten US-Amerikaner trotzdem nicht aufnehmen wollen. Schließlich sind ihre Aussichten denkbar unsicher: Knapp zehn Prozent sind arbeitslos, und auch der große Rest hat mit sinkenden Realeinkommen zu kämpfen.

Wirtschaft ist eben Psychologie: Nicht billige Kredite animieren zum Konsum, sondern ein sicheres Gehalt. Daher müsste nicht nur Geldpolitik, sondern vor allem Fiskalpolitik betrieben werden. Nicht die Zentralbank sollte der Hauptakteur sein, sondern die US-Regierung. Sie müsste versuchen, die Masseneinkommen direkt zu stärken – durch eine bessere Arbeitslosenversicherung, Steuererleichterungen für die unteren Schichten und Konjunkturprogramme, die Stellen schaffen. Doch bei den Kongresswahlen hat das republikanische Gegenprogramm gesiegt: Nun dürfen sich die Reichen über Steuererleichterungen freuen, während neue Konjunkturpakete ausgeschlossen sind.

Die Fed startet also das letzte Notprogramm, und entsprechend bizarr sind die Konsequenzen. Denn mitten in der Flaute floriert immerhin ein Geschäft: der „Carry Trade“. Zu Bernankes Billigstzinsen werden Kredite in Dollar aufgenommen und dann in eine Währung getauscht, wo sich opulentere Renditemöglichkeiten aufzutun scheinen. Besonders beliebt sind China, Indien, Australien oder Brasilien – aber auch der Euro steigt auf Rekordniveau. Diesen „Währungskrieg“ nimmt Bernanke freudig in Kauf. Mag sein Inflationsprojekt in den USA nicht funktionieren, so ist zumindest sichergestellt, dass der Dollar an Wert verliert. Die amerikanischen Waren werden billiger, die ausländischen teurer, und der US-Export steigt. Die Idee ist simpel: Mit seiner Inflationspolitik will Bernanke die Inflation exportieren.