: Der Roman zur Sammelfußnote
Der „Campus-Knigge“ ist kein Benimmbuch für die Universität, sondern eine verliebt-böse Hommage an die Unzulänglichkeiten des deutschen Hochschulbetriebs
Universitäten sind ganz schön frustrierend. Dieser Eindruck drängt sich einem zumindest auf, wenn man den jetzt erschienenen „Campus-Knigge“ vom C.H. Beck Verlag aufschlägt. Kein nettes Vorwort begrüßt hier hilfesuchende Erstsemester. Kein betuliches Geduze à la: „Willkommen im Kosmos Universität, wir nehmen dich fest an der Hand.“ Nein. Stattdessen lautet der schockierende erste Eintrag des Campus ABCs: „Abgelehnt“. Und als würde das nicht reichen, geht der Eintrag mit „…wird zu selten“ weiter.
Die ersten Tage an einer neuen Uni sind mit das Verwirrendste, was man erleben kann. Ein Campus-Benimmbuch wäre an sich also keine schlechte Sache. Dort könnten die Erstsemester erfahren, dass man sich für manche Seminare nur anmelden kann, wenn man sich am D Day zur H Hour im Raum X 23.7-5 einfindet. Studenten könnten erklärt bekommen, dass es für eine Hausarbeit nicht reicht, eine gute Idee zu haben, sondern dass man diese auch in einem leserlichen Text unterbringen muss. Dass Form genauso wichtig ist wie Inhalt und dass Dozenten nur bedingt etwas von der Trennung von Lebensgefährten oder Computerproblemen hören wollen. All das macht aber der Campus-Knigge nicht.
Stattdessen geht es hier dem Lehrbetrieb selbst an den Kragen. Unter „Abschreiben“ wird nicht nur copy & paste aus dem Netz-Verfahren Studierender angeprangert, sondern ebenso die auch für Dozenten nicht unverlockende Methode, ergoogelte Seminarpläne anderer Universitäten für die eigene Lehrveranstaltung zu kopieren. Der Campus-Knigge hat sich vor allem einer von dem Ökonomisierungsprozess bedrohten Spezies angenommen: dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Herausgeber und zumeist auch Autoren der Beiträge sind die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Manieren“ der Jungen Akademie, 50 schwerstbegabte Jungwissenschaftler, die an verschiedenen deutschen Fakultäten eifrig Proseminar und Übungen unterrichten und auf die nächsten freiwerdenden Lehrstühle spekulieren. (Womit sie übrigens ihrem eigenen Eintrag „schwerstbegabt“ widersprechen, der nur Naturwissenschaftler mit erhöhtem Interesse für Star Trek als schwerstbegabt klassifiziert.)
„Das darf man nicht so ernst nehmen“, erklärt Tobias Jentsch, der die Redaktion des Buches übernommen hat. Überhaupt sollte man den „Campus-Knigge“ nicht als Studienratgeber oder Überlebenshilfe lesen. Er ist vielmehr ein Projekt, in dem die Nachwüchsler ihre Erfahrungen an der Uni verarbeiten. Eine Handreichung aus dem Mittelbau, die Schicksalsgenossen ermutigend auf die Schulter klopft und für Akademieferne den Wissenschaftsbetrieb seziert.
So ist bei näherem Betrachten der Unibetrieb auch gar nicht so frustrierend. Unter „Abgelehnt“ beispielsweise heißt es weiter: „Abgelehnte aller Länder – bleibt unverzagt! Entweder seid ihr so schlecht, dass ihr mit absoluter Sicherheit irgendwo noch unterkommen werdet. Oder ihr seid so außergewöhnlich, dass die Nachwelt von euch reden wird.“
Die Wissenschaft, so lehrt der Eintrag Y-Chromosom, ist immer noch ein Männerbetrieb, weswegen unter dem Stichwort „Männer“ dann auch eine Karikatur zum Thema „Schwanzvergleich“ zu finden ist. „Gutachten“, wird beklagt, „machen Arbeit.“ Unbedingt zu empfehlen ist der unvergleichlich böse Kurzessay zur „Sammelfußnote“ (leider ein Nachdruck eines arrivierten Wissenschaftlers aus der FAZ).
Insgesamt ist der Campus-Knigge eher eine Art Campus-Roman, denn in seinen Einträgen verbergen sich lauter kleine Geschichten, die ein selbstironisches Bild des Akademiebetriebes zeichnen. Der Eintrag zum Thema Sex, zum Beispiel, dürfte auch für die Erstsemester interessant sein: „Studenten haben mehr Sex als alle anderen Menschen“, wird da versprochen.
JUDITH LUIG