: Neuauflage mit Altlasten in Polen
Nach wochenlangen politischen Querelen nimmt Premier Kaczyński die Bauernpartei wieder in die Regierung. Zur absoluten Mehrheit fehlt ihr eine Stimme. Unter den Koalitionspartnern herrscht Misstrauen. Das Parlament lehnt Neuwahlen ab
AUS WARSCHAU JENS MATTERN
Das Zweckbündnis ist am Montag bei Nacht und Warschauer Herbstnebel geschlossen worden: spätabends, ohne Medienbeobachter, nahm Polens Präsident Lech Kaczyński den Chef der Bauernpartei „Selbstverteidigung“, Andrzej Lepper, wieder mit in die Regierungsriege. Als Landwirtschaftsminister und Vizepremier und vermutlich erneut als Querulant, so die Einschätzung polnischer Medien.
Wegen Streitigkeiten über den zukünftigen Haushalt mit Premier Jarosław Kaczyński wurde Lepper Ende September vom Präsidenten, dem Zwillingsbruder des Premiers, entlassen. Jarosław Kaczyński, Chef der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) vermochte jedoch ohne die „Selbstverteidigung“ keine Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, zu bilden.
Dank der Neuauflage des Regierungsbündnisses konnten Neuwahlen verhindert werden, für die sich die Opposition und 60 Prozent der Polen aussprachen. Gestern wurde auch ein Antrag zur Auflösung des Sejms der Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und Linksallianz (SLD) mit 242 zu 180 Stimmen abgelehnt. Die politischen Querelen der letzten Wochen hatten die Umfragewerte der Regierung deutlich sinken lassen, nur noch 22 Prozent der Stimmen würden heute auf die PiS entfallen, die PO erhielte 35 Prozent.
Als Grund gilt vor allem die „Videobandaffäre“. PiS-Vizechef Adam Lipinski wurde heimlich gefilmt, als er eine „Selbstverteidigungs“-Abgeordnete zu überzeugen suchte, zur PiS-Fraktion „überzulaufen“. Dabei wurden auch Steuergelder angeboten, um Wechsel zu bezahlen, die die Parteimitglieder vor Antritt ihres Mandats bei Parteichef Andrzej Lepper als „Treuegarantie“ unterschreiben mussten. Gerade die PiS hatte mit der Ankündigung einer „Moralischen Revolution“ hohe Erwartungen ihrer Wähler geweckt, die so bitter enttäuscht wurden.
Der neuen alten Regierungskoalition aus „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), der rechtsklerikalen „Liga Polnischer Familien“ (LPR) und der „Selbstverteidigung“ fehlt jedoch eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Einige Abgeordnete der „Selbstverteidigung“ haben die Partei verlassen und sich in einer neuen „bäuerlich-nationalen“ Gruppierung zusammengefunden, die nun über die Regierungsgeschicke mitentscheiden wird. Andrzej Lepper will dem Haushaltsentwurf der PiS nun zustimmen, jedoch weiter an einer geplanten Entsendung von eintausend Soldaten nach Afghanistan Kritik üben.
Zwischen den neuen alten Koalitionären herrscht nach Ansicht der Tageszeitung Dziennik ein großes Misstrauen. Donald Tusk, Chef der Bürgerplattform, erklärte die neue Regierung zu einer „Koalition mit einem anrüchigen Ruf“. Tusk spielt so auf eine Rede Jarosław Kaczyńskis an, der nach der Videoaffäre erklärte, dass sich seine Partei nicht mehr mit Leuten eines „anrüchigen“ Rufes einlassen werde. Tusk ist überzeugt, dass Andrzej Lepper bald die erste Geige in der Regierung spielen wird.