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Archiv-Artikel

Lernen feiern und feiern lernen

In der Staatsbibliothek sperrt sie das störende Tageslicht aus, in der Panorama Bar holt sie es zur Freude der Raver morgens um acht Uhr früh herein: Ein Lob der Jalousie, die als Nutzmöbel zwischen Innen und Außen vermittelt

In Alain Robbe-Grillets gleichnamiger Erzählung spielt die Jalousie nur eine klitzekleine bis keine Rolle. Schließlich kommt es dem französischen Schriftsteller genau darauf an: Dinge bis zur Unkenntlichkeit wegzubeschreiben und die wesentlichen Vorkommnisse völlig zu verschweigen, das ist genau Robbe-Grillets Ding.

„Jalousie“ bedeutet im Französischen „Eifersucht“. Das Wort bezeichnete zunächst allerdings Fenstergitter, die so beschaffen waren, dass sie den Blick nach außen ermöglichten und gleichzeitig von dort aus die Sicht ins Innere verhinderten. Ihr Nutzen kann also gleichzeitig im Schutz vor dem Außen und, als dessen Gegenteil, in der Schaffung eines Ausblicks liegen.

Auch in Berlin spielen Jalousien oft eine zweideutige Rolle. Davon zeugen schon die verschiedenen Orte: Die Berliner Staatsbibliothek am Potsdamer Platz und der Danceclub Panorama Bar zum Beispiel. „Das sind ja zweierlei Welten“, werden Sie sagen. Und da haben Sie natürlich recht. Aber diese, wie man zuerst meint, fast entgegensetzten Welten haben im Grunde dieselbe Funktion: Kontemplation. Und dafür sorgt wiederum die elementare Taktik des Jalousierens.

Beide Orte zeichnet aus, dass man in ihnen eine sehr lange Zeit am Stück mit einer einzigen Aufgabe zubringt. Augen auf und lesen. Augen zu und tanzen. Mal ist die Tätigkeit ganz stark, mal ganz wenig mit dem Körper verbunden. Hinzu kommt als Unterscheidungskriterium das Geräusch: Während es hier möglichst leise ist, wummert es dort permanent ohrenbetäubend.

Noch interessanter ist aber: In der Bibliothek gehen die Jalousien herunter, weil die Sonne auf die glasigen Augen scheint und so vom Lesen abhält. Im Club ist man wiederum eifersüchtig bemüht, das Licht rauszuhalten. Bis die Jalousie – so gegen acht Uhr früh – hochgelassen wird, denn der Morgen ist angebrochen, und in der unvergleichbaren Panorama Bar meint das: Super, auch der Tag wird ein Rave sein. Hier ist die hereingelassene Sonne Grund zum lautstarken Jubel, während das Aussperren des Strahls der Erleuchtung in der Bibliothek ein unbewusstes chorales und leises Seufzen hervorruft. Denn wo die Sonne ist, darf man selbst nicht sein. Zugleich wird in der frühmorgendlichen Inszenierung offenbar, wie die Jalousie im Club zu ihrer eigentlichen Funktion als Nutzmöbel findet. Während man umgekehrt die Jalousie in der Bibliothek durch permanente Benutzung fast gar nicht mehr wahrnimmt. Sie ist zu einer Art zweiten Natur geworden, die auf fast unmerkliche Weise einen Hinweis gibt.

In beiden Fällen zeigt die Jalousie das Wesentliche der Institution an. Indem sie ein Außen freilegt oder eben ausschließt, erinnert man sich an seine Aufgabe im Innern. In Räumen, die dadurch bestimmt sind, dass Menschen eng beieinander ausharren, ohne miteinander zu sprechen, führt der Einsatz der Jalousie zu einem Moment gemeinsamkeitsstiftender Erinnerung. Durch die Bewegung der Jalousie wird in der Bibliothek wie im Club praktisch angezeigt, wozu wir hier sind: zum Lernen und Feiern nämlich. Wobei die Frequenzhöhe (seufzen/schreien), die das Jalousieren begleitet, ebenjene Lust anzeigt, die man bei dieser Aufgabe empfindet.

Wenn man sich dann durchs Zwielicht der Jalousie bewusst geworden ist, an welchem Ort man sich wofür befindet, besteht gleichermaßen lichte Klarheit darüber, was zu tun ist: weitermachen! TIMO FELDHAUS