: Marktplatz von morgen
Mall Rats (1): Vor 34 Jahren wurden im neu eröffneten Roland-Einkaufszentrum am südlichen Rand Bremens VW-Käfer an die Kunden verlost. Heute gibt es Musical-Contests für den Nachwuchs
von KOLJA MENSING
Im Jahre 1972 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland erst eine Handvoll Einkaufszentren. Als das Roland-Center am 2. November am südlichen Stadtrand von Bremen nach knapp acht Monaten Bauzeit eingeweiht wird, ist das darum eine kleine Sensation. Die Eröffnungsfeier dauert zwei Wochen. Katja Epstein, Beauty Milton und Rudi Carrell treten auf, damals nennt man das noch ein „buntes Programm“, und unter den ersten Besuchern wird ein VW Käfer verlost. Mehr als 2.000 Parkplätze sind rund um das Center ausgewiesen worden.
„Das ist der Marktplatz von morgen“, bejubelt die Lokalzeitung den aus drei Betonquadern zusammengesetzten Zweckbau, und bis heute schaut man hier im Center lieber nach vorne als zurück. Frau Uhlhorn, die seit dem ersten Tag als Sachbearbeiterin im Büro des Managements arbeitet, winkt nur ab, als wir sie jetzt nach den Mietern aus ersten Jahren fragen: „Die Geschäfte kennen Sie doch sowieso nicht.“ Frau Uhlhorn ist 56 Jahre alt. Als der Grundstein für das Roland-Center gelegt wird, war sie 22 Jahre. Damals war sie als Sekretärin in einem kleinen Bremer Unternehmen angestellt, und auf die Stelle im Center hatte sie sich nur beworben, weil sie ein bisschen besser bezahlt war als ihre bisherige Arbeit. Ihr Vorstellungsgespräch fand in einer Bretterbude neben dem Rohbau statt, „hier war ja überall nur Sand“, und die Zusage kam wenige Tage später. „Was hat sich seitdem im Center geändert?“ – Kurze Antwort: „Die Arbeitszeiten.“ – „Und sonst?“ – „Alles ändert sich. Aber wir Menschen verändern uns auch, und das ist gut.“
Zwei Stockwerke weiter unten findet derweil auf der Ladenstraße der „Musical Superstar Contest“ statt. Nach den Erfolgen der aufwändig inszenierten Casting-Shows im Fernsehen lassen die Event-Agenturen das Format jetzt in den Einkaufszentren der Vorstädte langsam auslaufen. Jessica ist knapp 20, wiegt deutlich ein paar Kilo zu viel und träumt als Meerjungfrau Ariel davon, „ein Mensch zu sein“. „Du hast keine Spannung im Körper“, erklärt ihr der Leiter der „European Musical Academy Bremen“. Judith Hinkelmann, die vor ein paar Jahren unter dem Namen T-Seven bei der Bremer Band „Mr. President“ gesungen hat und ebenfalls für die Jury verpflichtet worden ist, schließt sich seiner Meinung an. Über drei Stunden dauert die Veranstaltung, und für jeden Teilnehmer gibt es einen guten Rat, um eine Ahnung davon zu bekommen, „wo die Reise hingehen kann, wenn man hart an sich arbeitet“: „Denk noch mal über dein Staging nach“, „achte auf deine Stütze“ oder „zeig uns den Schmerz, der in dir steckt“. – „Ach so, und Isabelle … sei einfach Isabelle.“
Der „Musical Superstar Contest“ ist das letzte Glied in einer langen Reihe von Veranstaltungen, die das Roland-Center seit 34 Jahren für seine Kunden inszeniert und von denen Jahre später nicht mehr bleibt als ein vergilbtes Foto in einer alten Ausgabe des monatlich erscheinenden Anzeigenblattes. Frau Uhlhorn holt einen Stapel aus einem Stahlschrank in einem entlegenen Abstellraum. „Was ist eigentlich aus den Miss-Wahlen geworden?“ – Sie zuckt mit den Schultern: „Gibt es auch nicht mehr. Wird wohl nicht mehr nachgefragt.“
Um 20 Uhr schließen die Läden, und jetzt ist auch im Büro Feierabend. Gemeinsam verlassen wir das Center. Hinter uns schließen sich leise die Glastüren, Frau Uhlhorn dreht sich nicht noch einmal um. Sie hat noch eine halbe Stunde Autofahrt vor sich.
Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen einen Monat im Einkaufszentrum. Geschichten und Videos unter www.13terShop.de