Theorie und Praxis

betr.: „Die ‚Unterschicht‘: Sechs Fragen und Antworten“, taz vom 17. 10. 06

Als Mitarbeiterin eines gemeinnützigen Vereins versuche ich gerade einer alleinerziehenden Mutter zu helfen, die nach drei Jahren Sozialhilfe-Bezug im Alter von 34 Jahren das Studium der Sozialen Arbeit an einer Katholischen Fachhochschule aufgenommen hat. Die Organisation des Alltags gestaltet sich ausgesprochen schwierig, weil eins ihrer beiden Kinder (5 und 8 Jahre) das Down-Syndrom hat und somit einer besonderen Förderung bedarf.

Die Mutter sieht dieses Studium als Qualifikation für die Zukunft, um in absehbarer Zeit für sich und die Kinder den Lebensunterhalt eigenständig verdienen zu können. Momentan setzen sich die Einkünfte wie folgt zusammen: BAföG vom Amt für Ausbildungsförderung, Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt, Kindergeld vom Arbeitsamt, Pflegegeld von der Pflegekasse und Wohngeld vom Wohngeldamt.

Diese Bürokratie erfordert neben der Kinderbetreuung und dem Studium eine logistische Meisterleistung, aber trotzdem lebt die Mutter mit ihren Kindern unterhalb des gesetzlich definierten Existenzminimums. Ein Antrag auf Kinderzuschlag ist gescheitert, weil sie die „Mindesteinkommensgrenze“ nicht erreicht – auch wenn der Kinderzuschlag speziell für Geringverdiener vorgesehen ist. Ihr wurde empfohlen, Arbeitslosengeld II zu beantragen! Als Studentin hat sie darauf aber keinen Anspruch, sodass sie ihr Studium abbrechen müsste, um als Arbeitslose ihren Lebensstandard etwas anzuheben. Eine diesbezügliche Nachfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde zuständigkeitshalber an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weitergeleitet. Aber auch dort fühlt man sich nicht zuständig und weist lediglich allgemein darauf hin, dass für Kinder von Studenten möglicherweise ein Anspruch auf Leistungen nach § 28 SGB II bestünde. Der Weg zum nächsten Amt steht ihr nun bevor, auch wenn die Hoffnung so langsam schwindet, dem bürokratischen Chaos jemals zu entkommen.

Und die Verantwortlichen in Berlin streiten sich zwischenzeitlich darüber, ob denn nun auch in derartigen Fällen der Begriff „Unterschicht“ zutreffend sein könnte. GISELA MAUBACH, Düren