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Archiv-Artikel

Kampf um den Herd

Die Flüchtlinge im Lager Blankenburg verweigern das Kantinenessen. Ihre 1-Euro-Jobs haben sie seit mehr als zwei Wochen niedergelegt. Sie verlangen Essensgeld, wollen selber kochen. Für die Lagerleitung und Lokalpresse eine üble Provokation

AUS OLDENBURG UND KLOSTER BLANKENBURG ARMIN SIMON

„Something to wash.“ Der Mann rubbelt mit der Hand über seinen Unterarm. Anna versteht nicht. „To wash“, wiederholt er. Dass sie das mitbringen sollen beim nächsten Mal, morgen Abend, wenn sie wieder kommen. „Das Lager ist verpflichtet, Ihnen Waschzeug zu geben“, sagt Anna. Der Flüchtling stippt Hilfe suchend seine Tochter an. Das deutsche Wort! „Gabel.“ Anna versteht: Er braucht Spülmittel.

Das ist rar im Lager Blankenburg. In der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde (ZAAB), kurz hinter der Oldenburger Stadtgrenze gelegen, gilt das „Sachleistungsprinzip“, sagt Leiter Christian Lüttgau, und das heißt hier: Gemeinschaftsverpflegung, angeliefert vom Caterer, verteilt in einer Kantine. Kochen ist verboten. Also braucht auch niemand Spülmittel.

Dass der Flüchtling trotzdem darum bittet, hängt mit dem Streik zusammen. Dem längsten dieser Art, den es bisher gegeben hat. „Hungerstreik“,sein nennt es einer. Was nicht stimmt: Die rund 150 Flüchtlinge, die im Lager Blankenburg untergebracht sind, haben besseres Essen als je zuvor. Nur die Kantine, die wird das ihre nicht mehr los. Weil niemand mehr dort essen will. Seit über zwei Wochen nun schon.

Das provoziert. Eine kleine Gruppe Aufmüpfiger setze den Rest der Flüchtlinge unter Druck, verkündet Lüttgau. Einen in vorderster Reihe Aktiven ließ er gestern in ein kleines Lager im Wendland verlegen. Die örtliche Nordwest-Zeitung erzählt das Märchen von den frechen Suppenkaspern. „Dieses Essen sorgt für Aufruhr“, titelt sie. Das Farbfoto zeigt das Blankenburger Menü des Tages, sorgsam auf Porzellantellern drapiert: Calamari mit Reis und ein Berg von Salat. „Mancher Oldenburger Kantinengänger wäre gestern über so ein Essen nicht unglücklich gewesen“, schreibt sie dazu.

Devrim* kennt den Bericht. Alle kennen ihn. „Das ist eine große Lüge“, sagt er. Aufgetischt wird erst, seit die Flüchtlinge im Ausstand sind, seit Abgeordnete und Fernsehteams das Lager besuchen. Seither essen auch die BehördenmitarbeiterInnen, die auf dem Gelände arbeiten, nicht mehr alle in ihrer eigenen Kantine. Der Kurde tippt mit dem Finger auf das Zeitungsfoto. „So ein Essen gab es nie“, sagt er.

Etwa ein knappes Dutzend Flüchtlinge, erzählen die Streikenden, esse derzeit noch in der Kantine. Sonderlich gut besucht, sagt Devrim, sei diese aber noch nie gewesen, die meisten LagerbewohnerInnen hätten lediglich Brot und Käse dort abgeholt. „Ungenießbar“ sei der Rest gewesen, von verschimmeltem Gemüse, abgelaufenen Lebensmitteln ist die Rede, von Essen, so schmackhaft, „dass du dich übergeben musst“. Bauch- und Kopfweh bekomme man davon. Der Arzt verschreibt dann Paracetamol.

Zwei Jahre sei er inzwischen hier, erzählt ein Afrikaner auf seinem Weg von der Bushaltestelle ins Lager. Wie oft er in der Kantine gegessen habe? „Einen Monat“, sagt er: „Den ersten.“ Dann besorgte er sich eine Kochplatte, ergatterte einen der 1-Euro-Jobs im Lager, Streichen und Tapezieren. Früher sein Beruf. In Blankenburg richtete er die Büros der Ausländerbehörde her, fünf Stunden am Tag. Von den fünf Euro kaufte er Essen. Bis zum 4. Oktober jedenfalls. Da begann der Streik.

Auf dem Parkplatz vor dem Haupttor ist der orangene VW-Bus vorgefahren, es ist schon dunkel. Unter der hochgeklappten Hecktür hat sich eine kleine Schlange gebildet, Männer, Frauen, Kinderwagen. „Zwei Kinder“, sagt einer. Die bekommen, wie Schwangere, die dickeren Rationen. „Männer brauchen keine Milch und keinen Joghurt“, erklärt einer der Verteiler.

118 Tüten haben die HelferInnen heute gepackt: Äpfel, Bananen, Paprika, Toastbrot, Fleischkonserve, Frischkäse und so weiter. Vieles ist von HändlerInnen und Marktleuten gespendet, der Rest Großeinkauf im Supermarkt, bezahlt mit Essensgutscheinen, die man anderen Flüchtlingen abgekauft hat. An die 200 Euro pro Tag kostet die Aktion. Die Streikkasse lebt von Spenden. „Thank you very much“, sagt die Frau noch und drückt den Umstehenden die Hand. Dann läuft sie mit Tüten bepackt zum Haupttor zurück.

Mit besserem Kantinenessen, machen viele der Streikenden deutlich, seien sie nicht zur Aufgabe zu bewegen. Nötig sei vielmehr „eine bessere Situation“: Essensgeld statt Kantine, wie in Mecklenburg-Vorpommern (siehe Kasten), bessere medizinische Versorgung, Arbeitserlaubnis. „Ich bin ein Mensch“, sagt Devrim: „Warum darf ich mir nicht selber kochen?“ Erst vor wenigen Tagen haben sie, auf einer Art Vollversammlung, die Fortführung des Streiks beschlossen.

Ein Helfer vom Antirassistischen Plenum Oldenburg wird morgen wieder zum Plus-Markt fahren. Wird Milch und Brot und Joghurt kaufen und mit Gutscheinen bezahlen. „Sie sind derzeit öfter da“, hat der Kassierer bemerkt. Und angeboten: „Wenn Sie was brauchen: Wir können gerne was extra bestellen.“

*Name geändert