: „Zu Unrecht im Visier“
Das Selbsthilfenetzwerk „JES“ kritisiert die Kontrollbesuche bei drogenabhängigen Eltern
„Das ist völlig kontraproduktiv“, sagt Marco Jesse, wenn man ihn auf die derzeit stattfindenden Hausbesuche bei 96 drogenabhängigen Eltern in Bremen anspricht. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hatte die Visiten als Reaktion auf den gewaltsamen Tod des zweijährigen Kevin angeordnet. Jesse, Bundessprecher des Selbsthilfenetzwerks „JES“ (Junkies/Ehemalige/Substituierte), betont: Die Wahrscheinlichkeit, dass „Drogengebraucher“ Gewalt gegen ihre Kinder verübten sei keinesfalls größer als in anderen Familien.
„Kontraproduktiv“ sei die Kontrolle der drogenabhängigen Eltern deswegen, weil sie Ängste schüre: „Einige werden sich von Beratungsangeboten fernhalten, um nicht in‘s Visier der Behörden zu kommen.“ Schließlich sei es vor etlichen Jahren noch gängige Praxis gewesen, drogenabhängigen Eltern grundsätzlich das Sorgerecht abzusprechen. Auch Jürgen Heimchen vom „Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit“ sieht Drogenkonsumenten keineswegs als „familienunfähige“ Bevölkerungsgruppe: „Ich kenne sehr viele Frauen, die in stabilen Substitutionsverhältnissen mit Beikonsum leben.“
Das eigentliche Thema der gestrigen Pressekonferenz beider Verbände war jedoch die „Legalisierung illegalisierter Drogen“. Während sich der Elternverband die Abgabe von Heroin und Kokain auf ärztliche Verordnung wünscht, favorisiert JES die Einrichtung eines „Drogenfachhandels“. „Das muss eine gewisse Normalität haben“, sagt Jesse, bis hin zur gewerblichen Besteuerung solcher Läden. „Die Legalisierung würde die Kontrolle deutlich erhöhen“, betont auch Heimchen. „Heute bestimmen Kriminelle den Preis und die Qualität.“
Zu Heimchens Elternverband gehören bundesweit 17 Gruppen mit durchschnittlich 40 Mitgliedern. Der deutlich größere „Bundesverband der Elternkreise drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher (BVEK) vertritt konservativere Positionen, sehr lange lehnte der Verein auch die Methadon-Programme ab. Die Bremer JES-Gruppe wurde vor 15 Jahren gegründet und betreibt das „Kontaktcafé“ in der Findorffstraße. HB